Sina Brunner (Duo Sienna)
Künstlerin des Monats
Künstlerin des Monats April 2022
Die Künstlerin des Monats im April 2022 ist Sina Brunner, die gemeinsam mit ihrer Partnerin als Duo Sienna auftritt. Im Interview erzählt sie von ihren ersten Jahren an der Zirkusschule und gibt jungen Nachwuchsartist:innen Tipps. Zudem erzählt sie sehr ehrlich von der einzigartigen Arbeit als Duo und den daraus resultierenden Herausforderungen. In unserer Rubrik „Künstler:in des Monats“ stellen wir regelmäßig eine Person aus der deutschen Zirkusszene vor. In Interviews stellen diese ihre Arbeit vor, sprechen über ihre Leidenschaft und teilen ihre Erfahrungen.
Steckbrief
Name: Sina Brunner
Wohnort: Berlin
Jahrgang: 1995
Ausbildung: Staatliche Artistenschule Berlin
Schwerpunkt: Aerial Hoop, Aerial Loop, Pole, multidisziplinär
Auftrittswunsch: Alles was kommt aber cool wäre einer der kurzen Cirque Du Soleil-Verträge in Andorra oder Malta
Meine Passion: „Durch Zirkus kann man ein ganz anderer Mensch, oder endlich man selbst sein.“
Interview
Mit 15 Jahren bist du aus der bayrischen Oberpfalz nach Berlin gezogen, um Artistin zu werden. Wusstest du, was dich erwartet?
Sina: Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass ich keine Ahnung hatte, was mich erwartet. Ich wollte heraus aus meinem Dorf, um neue Erfahrungen zu sammeln. Im Nachhinein weiß ich nicht, ob ich nochmal so mutig wäre. Ich trainierte schon früh in einem Kinderzirkus und meine Oma ging mit mir zu allerlei Shows.
Einmal besuchte meine Oma mit mir Circus Flic Flac. Beim Durchblättern des Programmhefts fiel mir auf, dass bei den Künstler:innen häufig „staatlich ausgebildet“ stand. Meine Neugierde wurde erweckt und ich begann zu recherchieren. Da ich noch zur Schule ging, kam nur die Staatliche Artistenschule in Berlin in Frage, an der ich mich bewarb und schließlich angenommen wurde. Es gab einen Abend, kurz vor dem Umzug nach Berlin, an dem ich stark zweifelte. Danach nie wieder.
Auf YouTube gibt es eine Doku über die Staatliche Artistenschule Berlin im Jahr 2011, in der du mehrmals vorkommst. Dein Trainer sagt im Video: „Das ist ein hartes Brot und nichts für Weichlinge“. Wie intensiv war die Ausbildung?
Sina: So fit wie in der Zeit an der Zirkusschule war ich danach nie wieder. Es gab aber Momente, die viel von mir abverlangten oder die mich mit meinen eigenen Defiziten konfrontierten. Auf einmal spürte ich, dass die anderen Schüler:innen genauso gut oder sogar besser sind als ich. Das machte etwas mit mir.
Schmerzen, blaue Flecken, Muskelkater und offene Wunden waren fester Bestandteil der Ausbildung, aber das hört als Artist:in wohl nie auf. Daran gewöhnt man sich und darauf ist man oft auch irgendwie stolz – es ist ein Zeichen der harten Arbeit.
Ich habe mich super mit meinem Trainer verstanden. Er versuchte immer, uns bestmöglich zu unterstützen. Er ermöglichte uns Aufritte, erlaubte uns früher vom Training zu gehen um Shows zu gucken oder wir durften sogar mal nach Stockholm fliegen kurz vorm Absolvieren, um uns dort die Absolventenshow von DOCH anzusehen
Du lebst den Traum vieler Jugendlicher, die in einem Kinderzirkus trainieren und Artist:in werden möchten. Welche drei Tipps würdest du dem Nachwuchs geben?
Sina: Als erstes muss man immer dranbleiben, auch wenn man mal keine Lust oder ein Tief hat. Es wird wieder besser. Die harte Arbeit zahlt sich aus. Deswegen einfach ins Training gehen, auch wenn du dich gerade nicht danach fühlst. Ein weiterer Punkt ist die eigene Weiterbildung, also Shows anschauen, auch wenn diese nicht deinem Geschmack entsprechen. Man kann sich überall irgendetwas für sich persönlich rausnehmen. Mein dritter Tipp ist die Überzeugung. Man muss auf jeden Fall von sich selbst überzeugt sein und daran glauben, dass man es schaffen kann. Sonst wird man keinen Erfolg haben. Auch wenn man nicht der oder die Beste in einer Disziplin ist, hindert das einen ja nicht daran, es trotzdem zu tun. Meine drei Tipps sind allesamt keine Technik-Tipps. Ich glaube auch nicht, dass reine technische Fähigkeiten eine:n Artist:in ausmachen. Für jede:n gibt es eine Sparte, in die er/sie reinpasst.
Woher kommt deine Begeisterung für Luftartistik?
Sina: Als ich auf die Zirkusschule kam, absolvierte eine Schülerin ihre Abschlussprüfung mit dem Schwungtuch. Das Schwungtuch ist eine lange Tuch-Schlaufe, die wie eine Schaukel von zwei Hängepunkten von der Decke herabhängt. Die Nummer faszinierte mich und ich versuchte mich auch daran. Da ich aber eine kleine Schisserin bin, machte ich die Schlaufe immer kleiner und kleiner. Daraus ist über die Jahre meine Tissue Loop Nummer entstanden.
Meine zweite Luftartistik-Disziplin ist der Aerial Hoop, ein von Decke herunterhängender Ring. Aerial Hoop trainierten meine Partnerin Vienna und ich ursprünglich nur aus Spaß nebenher, bis wir über unseren Trainier den ersten Auftritt damit hatten. Hier wurde uns klar, dass wir das auf jeden Fall vertiefen sollten. Die gemeinsame Nummer entstand dann sehr spät, erst ein Jahr vor der Abschlussprüfung.
Wie seid ihr zu eurer Duo Pole Nummer gekommen?
Sina: Wir hatten bis dato nur Nummern, die in der Luft aufgeführt werden konnten und benötigten etwas für den Boden. Also waren wir die ersten an der Artistenschule, die sich eine Pole Stange organisierten. Niemand hatte die nötige Erfahrung oder Expertise. Die Schmerzen waren extrem anders als bisher im Ring oder am Tuch. Im letzten halben Schuljahr entwickelten wir einen Pole-Act. Pole Stangen hatte ich bis dahin selten mit zwei Frauen gleichzeitig gesehen, besonders nicht in der Artistikwelt, was für uns definitiv eine Herausforderung aber auch ein Vorteil war. Wir betrieben sehr viel eigenen Research, was man bis heute der Performance ansehen kann, finden wir. Ebenfalls ist es schön, dass Pole heutzutage schon etwas etablierter und nicht mehr so verpönt wie früher ist. Auch wenn blöde Sprüche immer noch an der Tagesordnung sind.
Woran erkennt man dich auf der Bühne?
Sina: Ich versuche auf der Bühne überzeugt, authentisch und „da“ zu sein. Es geht mir nicht darum, dass alle Tricks perfekt funktionieren, sondern vielmehr viel mehr wie man mit dem „Unperfektsein“ umgeht, und ob ich Spaß habe und mit meinem Herzen anwesend bin. Warum macht man denn auch Job? Auf jeden Fall nicht, um Millionär zu werden. Deswegen versuche ich bei meinen Shows den Moment zu spüren und Spaß zu haben. Es gab Phasen, in denen ich das nicht gut hinbekam und ich mich dabei über mich selbst sehr ärgerte, was es nur noch schlimmer machte. Gerade wenn ich zu häufig aufgetreten bin, konnte ich dieses Gefühl von Freude auf der Bühne nicht mehr empfinden. Aus diesen Phasen habe ich aber sehr viel gelernt.
Auch wenn ich geschminkt und kostümiert auf der Bühne stehe, bin ich ein ganz normaler Mensch. Genau das möchte ich vermitteln. Inzwischen denke ich zum Beispiel auch ein Glück nicht mehr den halben Tag darüber nach was ich esse, oder es ist inzwischen auch okay für mich, dass man meine Cellulite auf der Bühne sehen kann. Weil ich weiß, dass es dem Großteil der Zuschauer:innen genauso geht. Den Wandel, zu sich selbst zu stehen und nicht mehr alles zu verstecken, spürt man in der Zirkus-Szene immer häufiger. Auch in der Varieté-Szene. So empfinde ich es zumindest, aber vielleicht das auch nur meine eigene Wahrnehmung, die sich geändert hat und auf viele Situationen übertragt.
Als Duo Sienna seid ihr auch in Varietés aufgetreten, die über Monate und Jahre mit der gleichen Show von einem zum nächsten Standort rotieren.
Sina: Der Vorteil ist auf jeden Fall, dass man für einen längeren Zeitraum einen sicheren Arbeitsplatz und dadurch auch ein gesichertes Einkommen hat. Ich glaube aber, dass es für meine Leidenschaft, meine Psyche und meinen Körper nicht unbedingt das Beste war. Als wir einer Varieté-Kette zusagten, hatten wir gerade erst die Artistenschule abgeschlossen und es fehlte uns dementsprechend die nötige Erfahrung. Wir sagten zu allen Allem „Ja“. Als junge Artist:in sollte man vielleicht erst einmal viele verschiedene Engagements ausprobieren, um die eigenen Bedürfnisse und Wünsche herauszufinden.
Du trittst gemeinsam mit Vienna als Duo Sienna auf. Mit welchen Herausforderungen ist man als Duo konfrontiert?
Sina: Viele wissen gar nicht, dass wir ziemlich genau zu Beginn der Corona-Pandemie planten, die gemeinsame Arbeit als Duo zu beenden. Wir nahmen bis dato alle Shows an, sagten nie nein und gaben uns keine Pause vom Beruf und voneinander. Es gab keinen konkreten Auslöser, weshalb die uns die Pandemie als Duo sehr gelegen kam. Unabhängig voneinander hatten wir beide den gleichen Gedanken, das Duo ruhen zu lassen.
Die Beziehung zu Vienna ist die krasseste, die ich je hatte. Ich weiß, wenn es Vienna nicht gut geht und sie weiß, wenn es mir nicht gut geht – selbst wenn ich versuche, das zu verstecken. Auf der einen Seite ist es sehr schön, einander wie ein offenes Buch lesen zu können und sich ohne Worte zu verstehen. Auf der anderen Seite nervt es, weil einem nichts mehr selbst gehört und man natürlich komplett von der anderen Person abhängig wird. Aber man das erst einmal zulassen kann, dann ist es irgendwie auch schön, von jemandem abhängig zu sein.
Wir hatten vor der Pandemie noch ein ausstehendes Engagement im Wintergarten-Varieté in Berlin, das pandemiebedingt erst eineinhalb Jahre später stattfinden konnte. Da wir schon zugesagt hatten, wollten wir das Engagement auf jeden Fall noch gemeinsam spielen. In dieser Zeit haben wir uns wieder total gut verstanden, eigentlich besser als je zuvor. Ich war aber zu stolz, es anzusprechen, aber Vienna traute sich und fragte mich: „Wollen wir vielleicht nochmal über Duo Sienna sprechen?“ Damit war klar, dass wir es noch einmal versuchen wollten. Das tun wir im Moment also wieder sehr erfolgreich und vor allem sehr zufrieden und glücklich.
Was macht Vienna zu deiner Lieblings-Duo-Partnerin?
Sina: Ich mag an Vienna besonders, dass sie keine streitsüchtige oder konfliktsuchende Person ist. Und in vielen Situationen, in denen ich mir Gedanken mache, ist Vienna viel freier und furchtloser.
Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, mit einer anderen Partnerin in der Form zusammenzuarbeiten. Wir haben den gleichen Geschmack, die gleichen Gedanken und Ansichten. Wir hatten nie verschiedene Ausrichtungen, Wünsche oder Ziele. Wenn wir beispielsweise einen neuen Act kreieren, arbeiten wir in einem schnellen routinierten Fluss, weil wir uns so oft ohne Worte ideal ergänzen. Zudem war sie einfach in extremem Lebenssituationen schon an meiner Seite, ist sie einfach extrem witzig, und ein Mensch der sich selbst nicht so ernst nimmt, sie bringt mich immer zum Lachen und ich kann bei ihr einfach komplett so sein wie ich bin. Und das schon seit 11 Jahren inzwischen.
Dein schönster Zirkusmoment?
Sina: 2017, ein Jahr nach der Absolvierung, spielten Vienna und ich bei „OHLALA – sexy, crazy, artistic“ von Gregory Knie zwei Monate in der Schweiz mit vielen anderen tollen Artist:innen. Als wir am Tag der letzten Show beim Spielort ankamen war ein Regenbogen über dem Zelt und im Finale standen wir alle gemeinsam auf der Bühne. Das Team und auch alle Artist:innen hatten Tränen in den Augen. Das war ein magischer Moment, der bis heute präsent ist.
In meinen Augen steht und fällt eine Show mit der Besetzung und damit, wie sich jede/r Einzelne fühlt. Die gleiche Show kann, je nach Stimmung, ganz anders auf das Publikum wirken.
©ZirkusPlus, April 2022
Sina Brunner in einer Dokumentation über die staatliche Artistenschule Berlin
Duo Sienna bei einer Castingshow mit ihrer Duo-Ring-Nummer