A Simple Space - Wenn das Zusammenspiel alles ist

Gravity and Other Myths

A Simple Space - Wenn das Zusammenspiel alles ist

Mit der Show A Simple Space beweist die Kompanie Gravity And Other Myths seit zwölf Jahren, dass eine sechs mal sechs Meter große Fußbodenmatte ausreicht, um das Publikum eine Stunde lang zu unterhalten. Jetzt ist das Meisterwerk im Berliner Chamäleon zu Gast.

"Das Ensemble Gravity And Other Myths" (Foto: Andrei Schnell)

Der Titel A Simple Space verrät es bereits. Die Show der australischen Kompanie Gravity And Other Myths (GOM) beschränkt sich auf einen einfachen Raum. An seinen vier Ecken stehen Metallstangen mit jeweils fünf Spotlichtern. Mit ihnen wird der titelgebende schlichte Raum markiert. Der Boden ist schwarz, der Hintergrund ist schwarz und die Decke ist schwarz.

Gleichzeitig bedeutet A Simple Space jedoch mehr als schlichter Raum. Gemeint ist, dass die Akrobat:innen sich während ihrer 60-minütigen Show darauf beschränken, schlicht diesen Raum zu nutzen. Es gibt keine Wechsel zu Hochseil, Trapez oder zu Jonglage oder Ringen. GOM vertrauen auf Akrobatik. Ausschließlich.

„Seine Schönheit liegt in seiner Einfachheit“, sagt der Dramaturg des Chamäleons, Geordie Brookman, am 5. Juni zum Start des zweimonatigen GOM-Gastspiels in den Berliner Hackeschen Höfen.

A Simple Space zeigt, dass zeitgenössischer Zirkus sehr viel Raum hat – selbst dann, wenn jegliche Zutat wie Kulisse und Requisiten weggelassen werden. Der Raum ist deshalb groß, weil es beim zeitgenössischen Zirkus nicht allein um die Ungewöhnlichkeit einzelner Darbietungen geht, sondern auch darum, was mit ihnen erzählt wird. So erzählt A Simple Space etwas über Wettbewerb und Team, von Zusammenspiel und Einzelkampf.

Die Intendantin des Berliner Chamäleons, Anke Pohlitz, greift diesen Gedanken in ihrer Begrüßung auf. Zum Start des GOM-Sommergastspiels sagt sie, sie hoffe, „dass wir in einer Zeit des zunehmenden Wettbewerbs dennoch gut miteinander umgehen“.

Wie das geht, das Wettbewerb nicht verhindert, gut miteinander umzugehen, das zeigt A Simple Space. Hier ist Wettbewerb etwas, um sich anzuspornen und sich im positiven Sinne zu vergleichen. Von diesem Wettkampf leben viele Szenen.

Zum Beispiel das Seilspringmatch oder der Ausdauerwettstreit zwischen Luftanhalten und Handstand. Das Publikum mag solche Momente der fröhlichen Konkurrenz, in denen es zwar nur einen Sieger geben kann, die gute Laune aber erhalten bleibt.

Es mag aber auch das Gegenstück, das perfekte Zusammenspiel. Wenn die Artist:innen „Fallingrufen und sich im Vertrauen darauf, aufgefangen zu werden, wie ein Brett nach hinten fallen lassen. Das sind Momente, in denen nicht der Sieger ermittelt wird, sondern die Leistungsfähigkeit der Gruppe getestet wird. Ist in dem scheinbaren Durcheinander auf der Bühne wirklich immer jemand zur Stelle, der auffängt?

"Bei manchen Stücken ist es egal, wie alt sie sind, sagt Anke Pohlitz" (Foto: Steve Ullathorn)

Mit wie wenig Mitteln A Simple Space auskommt, wird erkennbar, wenn man auf die berühmten Helferlein achtet, die eine Show für gewöhnlich stützen. Zum Beispiel der Sound. GOM verzichten auf ein Mischpult, das dröhnende Musik bereitstellt. Auf der Bühne steht ein schlichtes Schlagzeug, auf dem live gespielt wird. Nur selten tritt ein Klangeffekt aus dem Computer hinzu wie das Geräusch eines Wasserspiels oder einer tickenden Uhr.

Und statt einer komplexen, mehrfarbigen Lichtanlage beleuchten lediglich vier Stäbe mit schmalen Weißlichtstrahlern das Geschehen. Auch die Kostüme sind schlicht. Sie bestehen aus einfachen, kurzen Hosen und T-Shirts. Im Grunde besteht A Simple Space lediglich aus acht Körpern. Es sind sieben Artist:innen und ein Schlagzeugspieler.

Letzterer tritt in einer Szene ebenfalls allein mit seinem Körper auf. Er trommelt auf seine Beine, seinen Bauch und seine Schultern, bis sich die Haut rötet. Wegen dieses vollen Körpereinsatzes in vielen Momenten der Show wäre es zu kurz gegriffen, A Simple Space mit Bodenakrobatik zu beschreiben. Das wäre so, als würde man über den Kontaktsport Rugby sagen, es sei eine Ballsportart. Tatsächlich gibt es in der Show Momente, in denen das Publikum Au ruft.

A Simple Space zieht die Zuschauer:innen offenkundig nach wie vor in den Bann. „Bei manchen Stücken ist es egal, wie alt sie sind“, sagt Anke Pohlitz und beschreibt damit die Zeitlosigkeit der Show. Aus heutiger Perspektive ist es kaum vorstellbar, dass vor zwölf Jahren die Kompanie mit ihrem Erstling vor dem Aus stand. Damals fehlte den australischen Akrobat:innen die Perspektive.

Doch dann habe Wolfgang Hoffmann von der Tourneeagentur Aurora Nova das Stück 2013 nach Schottland zum Edinburgh Fringe Festival geholt, erinnert Intendantin Anke Pohlitz. Von Schottland aus hat das Stück bekanntlich seinen internationalen Siegeszug angetreten.

Die Zahl der renommierten Preise, die A Simple Space gewonnen hat, ist hoch. Kurz: Es ist zu einem Klassiker geworden. „Manchmal braucht es den Glauben an eine verrückte Idee. Und Menschen, die helfen, um etwas Großartiges möglich zu machen“, sagt Anke Pohlitz.

"Intendantin Anke Pohlitz und Dramaturg Geordie Brookman" (Foto: Andrei Schnell)

Dinge möglich zu machen, das wird in Berlin derzeit schwieriger. „Bleiben Sie der Kultur treu“, appelliert Anke Pohlitz an das Publikum. Denn die Einsparungen des Senats in der Berliner Kulturszene machen sich auch in ihrem Hause bemerkbar, so die Intendantin.

Das Chamäleon gehört zu den Häusern, die zwischen kommerziellem Erfolg und Kulturermöglichung balancieren. So ist das Chamäleon einerseits gemeinnützig und andererseits privatwirtschaftlich organisiert.

Die Idee einer Sommersaison soll dem Haus helfen, diese Balance zu schaffen. Zwei Monate lang wird A Simple Space im Berliner Chamäleon in den Hackeschen Höfen zu sehen sein. „Es ist das erste Mal, dass wir eine Sommerspielzeit haben“, erklärt Intendantin Anke Pohlitz. In der Regel produziere das Chamäleon Eigenproduktionen.

Und man darf sich vorfreuen. Denn wenn der Sommer vorüber ist, dann kommen schon die nächsten Australier:innen nach Berlin. Dann wird die berühmte australische Kompanie Circa in den Hackeschen Höfen auftreten. Es sind keine leeren Worte, wenn Anke Pohlitz sagt: „Wir pflegen die Freundschaft mit der australischen Zirkusszene.

Andrei Schnell