Absolventenshow Whisper & Shout - Gesellenstück auf Deutschland-Tour

Premierenkritik

Absolventenshow Whisper & Shout - Gesellenstück auf Deutschland-Tour

Einzelauftritt und Ensembledarbietungen halten sich bei der diesjährigen Absolventenshow „Whisper and Shout“ die Waage. Regie und Choreografie vereinen Nachwuchstalente der Staatlichen Artistenschule Berlin zu einem Gesamtkunstwerk im neuen Stil. Tourstart ist jetzt.

Der Jahrgang 2022 habe „sich auf den Weg gemacht, experimenteller zu sein‟, zeitgenössischer, eben contemporary. Ronald Wendorf, Künstlerischer Leiter an der Staatlichen Artistenschule Berlin, ordnete den ersten Auftritt der Absolventenshow vorab ein. Die Show Whisper und Shout geht in diesem Sommer auf Tour durch Deutschland. An über 40 Stationen im Zelt, auf der Bühne, im Theater und im Varieté wird das Flüstern und Schreien der elf Nachwuchstalente zu sehen sein. Der Auftakt im Berliner Wintergarten war eine Art Heimspiel. Freund:innen und Verwandte jubelten am 21. Juni überschwänglich.

„Vergessen Sie den Applaus nicht‟, hatte Ronald Wendorf gemahnt. Der Appell wäre an einem Abend ohne Verwandte im Saal alles andere als eine Floskel gewesen. Denn die Show gleicht einem stetigen Gedankenfluss, die Übergänge sind stufenlos, selbst in den Einzeldarbietungen baut sich Spannung behutsam auf. Das altbekannte Lauern aufs Klatschen fällt aus. Wer die Tücken der einzelnen Rollen und Drehungen nicht kennt, dem kann es passieren, dass er sich dem wellenartigen Auf und Ab, des kontinuierlichen Fließens der Show hingibt, ohne die Hände zu rühren.

Blumen für die Absolvent:innen (Foto: Andrei Schnell)

Der Titel Whisper und Shout benennt einen Gegensatz und von denen gibt in der Show viele. Laute und leise Rufe der Gruppe sowie laute und leise Texte, von Einzelstimmen aus dem Off vorgetragen, wechseln sich ab. Regie und Choreografie haben weitere Gegensätze eingebaut. Zu den auffälligsten gehört die Spannung zwischen Einzelauftritten und Gruppenszenen. Die Hälfte der zwei Stunden Show (plus Pause) teilten sich die 18- bis 21-jährigen Nachwuchsartist:innen, um den Bühnenraum für sich allein zu haben, um ihn mit Bewegungen auszufüllen, um zu beweisen, dass die eigene Präsenz mit der Weite der Bühne mithält. Im zuverlässigen Rhythmus folgte auf die Einzelleistung eine Gruppenszene. In diesen präsentierten sich die elf jungen Menschen als Gemeinschaft, als Klasse. Bälle, Ringe, Reifen und Seile dienten dann nicht dem artistischen Meisterstück, sondern wurden zu Elementen eines Gruppentanzes. Unter dem Strich schwer zu sagen, ob in Whisper and Shout dem Ensemble oder einem einzelnen Absolvent:innen mehr Applaus zu schenken ist.

Zeitgenössischer Tanz als Bestandteil der Show (Foto: Andrei Schnell)

Regie führte Stefan Sing, Choreografie übernahm Cristiana Casadio. Die beiden formten die Show zu einem Zirkusstück mit Tanz und Theater, zu einer anhaltenden Choreografie ohne Stopp. Produziert hat die Aufführung Maik M. Paulsen, der selbst an der Staatlichen Artistenschule Berlin den Beruf des Artisten erlernt hat. Das Format Absolventenshow als eine Art Gesellenstück hat seine Abschlussklasse 2005 entwickelt. In diesem Jahr stellte der Produktionsleiter die 18. Ausgabe der Show auf die Beine. Das Besondere in diesem Jahr sei im Vergleich zu den Jahren davor, „dass die Klasse eine eingeschworene Gemeinschaft ist und dass alle die gleiche Richtung einschlagen.‟ Eine zeitgenössische Richtung. Häufiger sei, dass sich in einer Abschluss-Show klassische Jungartisten und zeitgenössische abwechseln. Dass die Truppe nun auf immer als Ensemble zusammenbleibe, vermutet er trotz des deutlich zu spürenden Zusammenhaltes nicht.

Zitat (Foto: Jule Felice Frommelt)

Nicht auf Tour gehen wird der Künstlerische Leiter der Artistenschule Ronald Wendorf. Er verabschiedete sich auf der Bühne mit Blumen von seinen Schüler:innen. Ein Moment der Tränen. Und ein Moment wie während einer Zeugnisausgabe. Der Moment, in dem die jungen Menschen noch Teil der Schule sind und gleichzeitig Teil der ungebremsten Welt. „Wo ist mein Kopf, wo sind meine Füße?‟, fragt in Whisper and Shout eine Frauenstimme. Eine Frage, die den unsicheren Moment, die Gefühle der Artist:innen während ihrer Sommertour gut einfangen dürfte. Ein Gefühl der Unsicherheit und des Dazwischen. Und dieses Gefühl vermittelt die Show gut. Dafür Applaus.

Die Namen der elf Artist:innen, die nun ins Showgeschäft einsteigen, finden sich zusammen mit den Tourdaten auf absolventenshow.de.

Die Staatliche Artistenschule Berlin bietet seit über 65 Jahren jungen Menschen den Berufsabschluss Artist an. Neun Jahre dauert die Berufsausbildung, die parallel zum regulären Schulbesuch im gleichen Haus erfolgt.

Andrei Schnell

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