Another one bites the sawdust

ATOLL Festival Karlsruhe

Another one bites the sawdust

Die Zuschauer betreten einen Veranstaltungssaal, in dessen Mitte sich die Bühne befindet, die nur aus einem in ca. 1,20 Meter Höhe angebrachten, nackten und mit Tüchern nach unten abgehängten Holzlattenboden besteht. Ein weiteres Bühnenbild ist nicht vorhanden. Alles wirkt sehr spartanisch und karg, hat es aber – wie der Abend noch zeigen sollte – faustdick hinter den Ohren bzw. unter den Brettern.

Der Beginn der Show führt die drei Protagonisten Michael Zandl, David Eisele und Kolja Huneck mit einem Holzstuhl-Wettbauen ein und skizziert einmal grob ihre unterschiedlichen Charaktere: Da ist zum einen der Neues erschaffende, maschinenaffine Handwerker, der seinen im Verlaufe des Vorführung hergestellten Werkstücken Leben einhaucht. Sein Kontrapunkt ist ein Sinnsuchender ohne kompetitives Interesse, der sich alleine durch eine Welt des Unbewussten bewegt, die für andere nur schwer zugänglich ist. Und dann ist da noch der etwas überfordert wirkende, kreative Dilettant, dem es durch seine Hilfsbereitschaft und Experimentierfreude gelingen wird, zwischen den beiden Extremen zu vermitteln: Statt zum Holzhammer wie sein Kollege greift er zu einer Prise Sägespänen, um den anderen Mitstreiter vollends verschwinden zu lassen.

Sawdust Symphony
Michael Zandl, David Eisele und Kolja Huneck (v.l.n.r. | Foto: Cosmin Cirstea)

In der etwa 60-minütigen und höchst sehenswerten Vorstellung zeigen die drei Künstler eine nie gesehene Verschmelzung unterschiedlichster Disziplinen und Genres: Auf eine etappenweise Live-Vorführung des Drechselhandwerks folgen Baumstammscheiben-Balanceakte mit berstendem Werkzeug, in sämigem Leim versinkende und wieder ausgespiene Ursuppentaucher treten vor Trancetänzern mit Vorschlaghammer auf. Handwerkliche Akkuratesse trifft Do-It-Yourself-Mentalität trifft kompromisslose Sinnlichkeit. Wo sonst wird mit heranfliegendem Werkzeug aus einem rohen Aststück während der Show ein Kinderkreisel gedrechselt, wo sonst entpuppt sich der Gürtel des mittelalterlich anmutenden Rocks als Kreiselschnur, wo gehen denn noch Birkenstock-Latschen mit Wollsocken als Arbeitskleidung durch?

Sawdust Symphony
Kolja Huneck (Foto: Jona Harnischmacher)

Die einzelnen Sequenzen wechseln im Tempo zwischen atemberaubend und fast in Zeitlupe, greifen bereits Gesehenes immer wieder auf und führen so zu Wiedererkennungswitzen und Running Gags. So entsteht beispielsweise aus dem simplem Akt des Nägel-Einschlagens zuerst eine equilibristische Hämmer-Manipulation, um dann in ein Katz- und Maus-Spiel mit immer neu hochschießenden und wieder versinkenden Nägeln zu münden. Das Bild der auf und ab wogenden Stahlstifte wird später wieder aufgegriffen: Für ein hypnotisches Nagelballett zu symphonischen Klängen auf der ansonsten leeren Bühne. Währenddessen wächst sich das Hämmern zu einer regelrechten Obsession aus: Mit einem absurd langen Stiel auf große Entfernung oder – in der Schlusssequenz – den Nagel mit winzigem Werkzeug sowohl auf als auch in den Kopf treffend.

Die Bühne mit ihren verschiedenen Luken und Öffnungen, überraschenden Ein- und Ausstiegen, mit ihren Sollbruchstellen und Werkzeug-Katapulten ist neben den Künstlern eine weitere Hauptdarstellerin des Abends. Sie ist Aufenthaltsort und Backstage-Bereich der Artisten, lässt diese auftauchen und verschlingt sie wieder. Sie ist gleichermaßen Requisitenlager, (Sch)Leim-Vorrat und Schuhschrank, Werkstatt, Spielplatz und Tanzboden.

Sawdust Symphony
Kolja Huneck (Foto: Jona Harnischmacher)

Die auf der Bühne vorherrschenden Materialien sind Sägespäne und (Sch)Leim. Während die Späne während des Drechselns nur so durch die Gegend fliegen, aus diversen Bühnenbodenöffnungen quellen und am Schluss sogar vom Himmel fallen, trieft die sämige Masse nur so von diversen Latten und Sägeblättern und bedeckt einen der Artisten von Kopf bis Fuß. Dieser ständig nach der warmen Oberflächenbeschaffenheit des Holzes Suchende wälzt sich eingeleimt schließlich in Sägespänen und stopft seine Kleider damit aus, bevor er proppevoll und zufrieden über die gelungene Vereinigung der beiden Stoffe, zu Boden sinkt.

Die Sawdust Symphony ist alles in allem ein furioser und verheißungsvoller Auftakt der ersten Festivalwoche des Atoll-Festivals 2022.

Roland Xanthopoulos