Eine für alle, alle für die Absolventenshow
Artist:innen der insolventen Artistenschule Etage
Eine für alle, alle für die Absolventenshow
Drei Jahre Ausbildung – und dann fällt die Prüfung aus? Mit der Insolvenz der Privatschule Die Etage drohte den Schülerinnen ein Abgang ohne Abschluss. Doch die Berliner Zirkuslandschaft hat es geschafft, dass die Absolventenshow Meander einschließlich Prüfung über die Bühne gehen konnte.
Der letzte Gast macht es sich gerade auf seinem Stuhl bequem, die Ansage bittet darum, die Handys auszuschalten, da durchbricht ein Urschrei das Rascheln und Gemurmel. Die Energie dieses Schreis, der durch sämtliche Kulissen bricht, sagt alles über den Druck, der auf sieben angehenden Artistinnen und Schauspielerinnen lastet. Denn beinahe hätte es ihre Absolventenshow Meander nicht gegeben. Dass es trotz aller Widrigkeiten zu einer Graduationshow gekommen ist, ist dem Engagement der Berliner Zirkuslandschaft und dabei insbesondere dem von Inga Groß und Tina Weiler zu danken. Denn die beiden Geschäftsführerinnen des Bildungsträgers Seneca Intensiv gründeten in Windeseile eine Ergänzungsschule und holten Partner:innen aus der Berliner Zirkusszene mit ins Boot.
Zur Vorgeschichte: Die über Berlin hinaus bekannte Kreuzberger Privatschule Die Etage ging Anfang des Jahres in die Insolvenz. Besonders hart traf das die dritte Jahrgangsstufe. Wer prüft angehende Artist:innen auf die Schnelle? Doch die Berliner Zirkuslandschaft ist groß, und offenbar ist ihr Sinn für Gemeinschaft ebenso groß. Sprich: Seneca Intensiv sprang ein. Für die Schülerinnen war das die Rettung.
Der schnell gefasste Plan war, den Bildungsträger Seneca Intensiv für ein halbes Jahr als Ergänzungsschule anerkennen zu lassen. Was einfach klingt, zog viel Arbeit nach sich. Für Inga Groß. Sie steht vor dem rot-gelben Cabuwazi-Zelt, die S-Bahnen rattern vorbei, im Hintergrund stehen die Plattenbauten aus DDR-Zeiten. In wenigen Minuten beginnt die Aufführung. „Ich habe immer mal wieder beratend an der Etage etwas gemacht″, sagt Inga Groß. Sie habe die Einrichtung und die Menschen gekannt, die Schülerinnen professionell fotografiert. „Ich wusste, was die tun.″ Sie will im Gespräch nicht aufbauschen, auf dem Teppich bleiben, bei den Tatsachen. Ob es also persönliche Bindungen sind, die Inga Groß und Tina Weiler dazu bewogen, auszuhelfen? Sie überlegt, wiegt den Kopf, antwortet mit Körpersprache „teils, teils″.
Die beiden Geschäftsführerinnen stehen am Ende der Show Meander zusammen mit den Schülerinnen im Schlussapplaus. Können es selbst kaum fassen, dass sie es geschafft haben, die jungen Frauen zum Tag der Prüfung zu bringen. Vergessen ist in diesem Moment die viele Arbeit, die niemand sieht. Und natürlich gelten die Ovationen in erster Linie den Nachwuchskünstlerinnen. Die ihre Arbeit nicht nur dem Publikum, sondern auch einer Jury präsentiert haben. Acht junge Frauen haben an der Show mitgewirkt, auch wenn am entscheidenden Tag lediglich sieben ihr Können öffentlich zeigen. Dass die Show als Prüfung diente, war deutlich zu spüren. Denn im Zentrum standen die Einzelpräsentationen. Die angehende Schauspielerin erhielt Raum für kleine Szenen. Nebelmaschine, Spotlicht und Musiklautstärke unterstützten nach Kräften.
Das Premierenpublikum war begeistert. Selbst größere Pannen wie ein Sturz und kleinere Missgeschicke wie das Aussetzen der Musik oder ein Fehlgriff beim Jonglieren taten der Stimmung keinen Abbruch. Vermutlich hätten die Zuschauer:innen allen Schülerinnen die Note eins gegeben. Doch denkbar ist, dass den sieben jungen Frauen eine andere Sache wichtiger ist als Zensuren. Nämlich die Lektion, dass Zirkus etwas ist, das auf Gemeinschaft und gegenseitiger Hilfe beruht. Das zeigt das Zustandekommen von Meander, das Seneca Intensiv, Cabuwazi, TiB 1848 e.V. und auch die Verwaltung möglich machte. Man könnte sagen: Die Prüfung im Fach Gemeinkraft, die hat die Berliner Zirkuswelt bestanden.
Meander war an drei Tagen von Freitag (22.9.) bis Sonntag, (24.9.) zu sehen.
Andrei Schnell