Kiew und Potsdam - Nachwuchs-artist:innen in der Manege vereint

Ukrainische Zirkuskinder in Berlin

Kiew und Potsdam - Nachwuchsartist:innen in der Manege vereint

Die Show „Bewegnungen‟ ist mehr als eine gelungene Aufführung jugendlicher Artist:innen. Das eigentliche Bravourstück daran hat das Zirkusprojekt Montelino hinter den Kulissen geschafft. Die Trainer:innen haben aus der Ukraine geflüchtete Jugendliche und Potsdamer Jugendliche zu einer Truppe vereinigt.

Die spannende Frage für die zwei Aufführungen des vergangenen Wochenendes war, ob zusammengewachsen ist, was nicht von allein zusammengehört. (Foto: Andrei Schnell)

Die Zuschauer:innen, die sich im Norden Potsdams auf dem Gelände von Montelino zusammenfinden, sehen holzbraune Zirkuswagen im Halbkreis. Sie sehen ein rotes Zelt, das im Hintergrund wartet und sie lassen sich verführen vom Duft des Popcorns. Einige Jugendliche sitzen auf dem Dach einer Jugendfreizeiteinrichtung, andere schwingen sich auf eine Pergola.

Soweit so erwartbar für den Beginn einer modernen Zirkusaufführung. Doch wer die Ankündigung zur Show „Bewegnungen‟ genau gelesen hatte, der wusste, dass der Nervenkitzel nicht in spektakulären Darbietungen liegt. Die spannende Frage für die zwei Aufführungen des vergangenen Wochenendes war, ob zusammengewachsen ist, was nicht von allein zusammengehört.

Der Plan der Zirkuspädagog:innen ist aufgegangen. Mit der Show „Bewegnungen‟ ist eine Truppe entstanden. Anders als die Zuschauer:innen, die im Montelino-Zelt nur gemeinsam nebeneinander sitzen, hat „Bewegnungen‟ die Jugendlichen zusammengebracht. Um das würdigen zu können, ist es nötig, den Hintergrund zu kennen.

Am 8. März hat das in Potsdam angesehene Jugendprojekt Montelino einige Schüler:innen ukrainischer Zirkusakademien aufgenommen. Es folgte damit einem Aufruf, 250 Minderjährigen ein Training in Sicherheit zu ermöglichen. Auch ZirkusPlus teilte im Frühjahr diesen Aufruf.

Die Hilfe für die Jugendlichen ist bis heute ein logistischer Kraftakt für die Potsdamer. Die Zirkuspädagog:innen suchten private Unterkünfte bei Familien, kümmerten sich um Deutschkurse, organisierten Trainer:innen und Trainingszeiten für die ukrainischen Nachwuchstalente, kauften eigens neues Material. Allein das ist eine Leistung, deren Kräfteverbrauch nicht zu unterschätzen ist.

Und doch wollte Montelino mehr sein als ein Ausweichs-Trainingszentrum in der Not. Die jungen Menschen sollten nicht nur kommen, sondern auch Ankommen. Der Show-Titel „Bewegnungen‟ beschreibt diesen Anspruch. In dem Schüttelwort mischen sich die Begriffe Bewegung und Begegnung. Hinter dem Wort Begegnung steckt, dass sich 21 Jugendliche aus der Ukraine und aus Potsdam zusammengefunden haben.

Deutlicher formuliert: sich zusammengerauft haben. Es prallten durchaus Unterschiede aufeinander. „Die ukrainischen Jugendlichen sind leistungsorientiert‟, sagt Bileam Tröger. Er ist Geschäftsführer von Montelino. Das ist kein Wunder, denn die Nachwuchstalente kommen teilweise von international renommierten Zirkusakademien. Montelino macht Freizeitangebote.

Zusätzlich gibt es unterschiedliche Erwartungen an eine normale Zirkusvorstellung. Bileam Tröger sagt, die Ukrainer:innen hätten Nummernprogramme im Kopf. „Wir von Montelino wollen eher Geschichten erzählen‟. Das unter ein Zikuszelt zu bringen, passierte nicht von allein.

Auf Schwierigkeiten angesprochen, nennen die jungen Artist:innen als erstes das Sprachproblem. (Foto: Andrei Schnell)

Auf Schwierigkeiten angesprochen, nennen die jungen Artist:innen als erstes das Sprachproblem. Henri Keller, einer der auftretenden Jugendlichen, bestätigt, dass die Zusammenarbeit am Anfang nicht leicht gewesen sei. Man sei auf Englisch ausgewichen, dennoch müsse weiterhin viel gedolmetscht werden.

Beim gemeinsamen Essen würden die Muttersprachen den Ausschlag geben, wer sich bei Tisch zu wem setzt. Eine der Jugendlichen, die mit ZirkusPlus auf Ukrainisch spricht, ist Sasha Taran. Wenn ihr das Übersetzen zu lang dauert, zeigt sie kurzerhand die Übung vor, über die sie gerade redet. Auch so lässt sich das Sprachproblem lösen.

Insgesamt ist die Show „Bewegnungen‟ ein Mix aus fortfließendem Stück und einer Abfolge von Einzeldarbietungen. Es gibt ein Diabolo-Duo, ein Paar am Luftring, Sprungbrett-Artistik, Bauchtanz; und es gibt immer wieder Choreographien, die alle Jugendliche gemeinsam in die Manege vereint. Mal wirken diese Treffen wie ein alle erfassender Judokampf, mal tragen sich die Jugendlichen gegenseitig auf den Schultern. Nach 50 Minuten Darbietung ist der Applaus langanhaltend.

Montelino bietet Schulprojekte, Zirkusferien und nachmittägliche Trainings für Schüler:innen an und ist in der Landeshauptstadt ein wichtiger freier Träger der Jugendarbeit. (Foto: Andrei Schnell)

Noch ein Wort zum „Kinder- und Jugendcircus Montelino Potsdam e. V.‟ Der Verein, der aus einem Zirkusnachmittag an einer Montessori-Schule im Jahr 1998 hervorging, hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen.

Zuletzt erhielt er 2015 für sein gesellschaftliches Engagement den goldenen Stern des Deutschen Olympischen Sportbunds. Montelino bietet Schulprojekte, Zirkusferien und nachmittägliche Trainings für Schüler:innen an und ist in der Landeshauptstadt ein wichtiger freier Träger der Jugendarbeit.

Andrei Schnell