Carlos Zaspel

Künstler des Monats

Künstler des Monats Januar 2022

Der Künstler des Monats im Januar 2022 ist Carlos Zaspel. Welche Rolle spielen Kinderzirkusse im Lebenslauf eines professionellen Artisten? Welche Aufgaben und Pflichten fallen abseits der Bühne bei Carlos an? Über diese Fragen, seine Kompanie und sein neues Solo-Stück „Stick to me“ spricht Carlos Zaspel im Interview.
In unserer Rubrik „Künstler:in des Monats“ stellen wir regelmäßig eine Person aus der deutschen Zirkusszene vor. In Interviews stellen diese ihre Arbeit vor, sprechen über ihre Leidenschaft und teilen ihre Erfahrungen.

Carlos Zaspel (Foto: PanRay Photography)

Steckbrief

Name: Carlos Zaspel

Heimat: Berlin

Jahrgang: 1997

Ausbildung: 
Staatliche Artistenschule Berlin

Schwerpunkt: Pole, Spinning Pole, Duo-Flying-Pole

Auftrittswunsch: ich bin happy

Meine Passion: 
Das Feedback vom Publikum, das man so nur Live auf der Bühne erleben kann.“

Kontakt
Website Instagram Kompanie 

Interview

Du hast im Kinderzirkus angefangen. Welche Rolle hat das für dich gespielt?
Carlos: Ohne den Kinderzirkus wäre ich ganz klar kein Artist geworden. Ich hätte mir meine Kindheit nicht schöner vorstellen können, als mit einem zirkuspädagogischen Projekt. Man hat Kontakt zu so vielen verschiedenen Menschen, den Austausch untereinander und die Möglichkeit neue Freundschaften zu schließen. Im Kinderzirkus lernt man sehr viele Schlüsselelemente, und das habe ich auch. Letztendlich fand ich dadurch sogar meine Berufung und meinen Beruf.
 
Dann hast du an der Staatlichen Schule für Artistik deine Ausbildung zum Artisten gemacht und in diesem Zuge die Disziplin des Spinning Pole erfunden.

Carlos: Ich habe auf der Zirkusschule lange jongliert und mich dort ursprünglich auch als Jongleur dort beworben. Mir lag Akrobatik und das Körperliche aber sehr viel mehr, sodass ich bei anderen Zirkusschüler:innen am Chinese Pole angefangen habe mit zu trainieren. An der Artistenschule heißt es immer: Du brauchst ein Alleinstellungsmerkmal. Gleichzeitig fand ich alles, was ich dreimal gesehen habe, schon wieder langweilig. Deswegen dachte ich mir: Denk dir doch mal etwas Eigenes aus. Der Spinning Pole war eine spontane Idee, die direkt funktioniert hat – und dann war es das.
Die Besonderheit an meinem Requisit ist, dass ich neben der vertikalen und fest abgespannten Stange (dem Chinese Pole) noch eine zusätzliche Stange angebaut habe. Oben habe ich die zweite Stange mit einem Kugellager an die feste Stange montiert. Die zweite Stange kann sich dadurch konzentrisch um die feste Stange drehen. Es ist sozusagen eine Kombination aus einem Chinese Pole (feste Stange) und einem Flying Pole (Stange in der Luft fliegend).
 
Wie groß ist dein Mehraufwand mit so einem Requisit?
Carlos: Immer wenn mein Spinning Pole aufgebaut wird, dauert das genauso lange, wie der ganze restliche Aufbau der Show. Es macht mein Leben auf jeden Fall anstrengender. Ich muss immer mit dem Auto fahren, alle anderen können fliegen oder mit dem Zug reisen. Diese 130 kg in meinen Cases müssen immer herumgeschleppt, zusammen- und wieder auseinandergeschraubt werden.
Auf der anderen Seite ist der Spinning Pole sehr eindrucksvoll und auf dem kommerziellen Markt leichter zu verkaufen. Mein artistisches Ego sagt mir auch, dass ich es viel spannender finde mit einem imposanten Requisit zu arbeiten, das man vorher noch nie gesehen hat.

Spinning Pole - Eine Erfindung von Carlos (Foto: PanRay Photography)

2019 haben dein Partner und du bei der Young Stage einige Preise gewonnen.
Carlos: Neben meinem Solo-Act habe ich auch ein Duo-Act mit meinem Partner Mario: Duo-Flying Pole. Das ist ein 3,5m langer fliegender Pole, an dem wir gemeinsam performen. Duo-Flying Pole ist ein Requisit, dass mittlerweile supertrendy ist und von vielen trainiert und gezeigt wird. Allerdings unterscheiden wir uns darin, dass wir weniger die bekannten Elemente zeigen, sondern sehr durchmischt und vielseitig arbeiten. Mario macht zum Beispiel einen „Einarmer“, wir beide machen viele Sprünge und haben einen modernen und eigenen Stil.

Was war dein schönster Zirkusmoment?
Carlos: Davon gab es sehr viele. Die meisten schönen Momente waren die mit unserer Kompanie nach dem Finale auf der Bühne mit Standing Ovations und einem „Schneppi“. Das Coolste und Aufregendste war, als wir beim Montréal Cirque Festival gespielt und die erste Show gerockt haben. Da denkt man sich dann schon „ach ja“. Das Finale ist bei uns immer eine richtige Party und voller guter Laune.

Du bist in der Kompanie Analog. Welche Rolle übernimmst du auf und abseits der Bühne?
Carlos: Auf der Bühne spiele ich meinen Solo-Act mit dem Spinning-Pole. Für das Finale der Show hat unser Drummer den Track dazu selbst komponiert und unsere Sängerin singt live dazu. Dieser Part gefällt mir einfach am besten, da wir alle gemeinsam auf der Bühne stehen und Spaß haben.
Wenn wir auf Tour sind, mache ich für die Kompanie das Booking und gemeinsam mit der Kompanieleitung Flo die Buchhaltung. Die Kompanie arbeitet autark, jede:r hat einen Aufgabenbereich und alle arbeiten Hand in Hand. Ich habe keine Passion für Buchhaltung, aber eine Passion für die Kompanie. Mir macht es aber total Spaß, zu pushen. Momentan bin ich an einem Punkt, an dem ich nicht mehr so gerne Anträge schreibe. Aber es gehört dazu. Ob als freiberuflicher Soloartist oder in einer Kompanie: Die Hälfte ist immer Büro.

180cm Fieberglas-Stab und Carlos in Interaktion (Foto: PanRay Photography)

Auf was kann man sich in deinem neuen Stück „Stick To me“ freuen?
Carlos: Schwierig zu sagen, da ich wieder mal mit einem unkonventionellen Requisit arbeite. Mein Requisit ist ein 180cm langer biegsamer Fieberglas-Stab. Über die letzten Jahre habe ich angefangen, mir Techniken, Tricks und physische Methoden zu überlegen, um damit akrobatisch arbeiten zu können. Eine weitere Technik, die ich nutze, ist Contact-Staff. Ich bin kein Fan von reiner Kontakt-Jonglage, weswegen ich auch akrobatische Elemente im Stück verwende. Mit zwei tollen Choreograf:innen habe ich an der Bewegungsqualität gearbeitet, um mehr in Richtung Tanz zu kommen. Als dritte Zirkusdisziplin ist etwas Vergleichbares zu Flying Pole dabei, weil der Stab am Ende auch mit einem Flaschenzug hochgezogen wird.

Warum setzt du dich inhaltlich bei „Stick To me“ mit Depressionen auseinander?
Carlos: Depression ist ein Thema, das mir persönlich am Herzen liegt. Das Stück erzählt eine Geschichte, die ich erzähle. Es ist nicht meine Geschichte, sondern wurde mit Regie und Choreografie bearbeitet. Mir persönlich liegt es am Herzen, dass psychische Erkrankungen mehr Präsenz und Diskurs in der Gesellschaft finden. Das ist eines der drängendsten Themen, die es momentan mit Corona gibt. Wenn du mit Freunden zusammensitzt, dann gibt es wenige, die offen darüber sprechen. Aber es ist omnipräsent.

Wie setzt du das Thema Depression in dem Stück um?
Carlos: Jede:r sieht natürlich etwas Eigenes. Ich gebe dem Stab den Charakter einer depressiven Person. Einem Stab kann man Eigenschaften wie Antriebslosigkeit und Bewegungslosigkeit zuschreiben, die sich oft mit Symptomen von Depressionen überschneiden. Meine Rolle hat aber auch einen kleinen Knacks. Ich glaube, es ist eine schöne traurige Geschichte, die ich da erzähle. Eine Verbindung zwischen dem Stab und mir kann man auf jeden Fall erkennen. Ob man in uns beiden ein Paar, Artbeitskoleg:innnen oder Geschwister sieht, das kann jede:r für sich selbst interpretieren.

"Stick to me" - Zirkusstück von Carlos (Foto: PanRay Photography)

Du entwickelst sehr gerne neue Requisiten. Bist du ein Erfinder?
Carlos: Nein, würde ich nicht sagen. Ich bin einfach ein darstellender Künstler, der sich seine Szenerie selbst überlegt. Jedes künstlerische Werk bedarf einer Menge Kreativität. Wenn du ein Bild malst, benötigst du ja auch Kreativität, deinen eigenen Drive und Stil. Bei Zirkus fängt es mit der Überlegung an, wie kann ich mit meiner Bewegungskunst etwas Neues schaffen kann.

Also kein Erfinder?
Carlos (schmunzelnd): Ich habe den Stock nicht erfunden, das kannst du mir nicht erzählen. Ich liebe es, Bewegungs-Recherche zu machen. Das nervt mich auch so an den sozialen Netzwerken: Der digitale Austausch ist sehr weit vorangeschritten. Man hat das Gefühl, es gibt schon alles, und sämtliche neuen Entdeckungen, werden direkt geteilt. Meine ersten akrobatischen Tricks habe ich noch durch Tüfteln entwickelt und war dabei selbst kreativ.

Wo ordnest du dich in der Zirkusszene ein? Oder ist eine Zuordnung unwichtig
Carlos: Da du mir die zweite Option bereits gegeben hast, würde ich sagen, es ist egal. Dennoch ordne ich mich dem zeitgenössischen Zirkus zu. Ich habe auch nichts dagegen, das ein oder andere kommerzielle Projekt zu machen. Das werden viele Artist:innen mit mir teilen. Ein paar Projekte macht man für die Kohle und ein paar für sein Herzensprojekt. Ich bin mir nicht zu schade für kommerzielle Projekte. Was mich persönlich interessiert, ist der zeitgenössische Zirkus.

©ZirkusPlus, Januar 2022

Trailer “Stick to me“ von Carlos

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Trailer „Finale“ von Carlos und seiner Kompanie ANALOG

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