Kolja Huneck
Künstler des Monats
Künstler des Monats November 2021
In unserer neuen Rubrik „Künstler:in des Monats“ stellen wir regelmäßig eine Person aus der deutschen Zirkusszene vor. In Interviews stellen diese ihre Stücke vor, sprechen über ihre Leidenschaft und teilen ihre Erfahrungen. Der erste Gast ist Kolja Huneck. Im Gespräch mit Jonathan Volzer erzählt Kolja von seinem Weg zum professionellen Artisten, seiner Auseinandersetzung mit Objekten und der Arbeit mit runden Scheiben. Zudem berichtet er aus der deutschen zeitgenössischen Zirkusszene, vergleicht diese mit denen in anderen Ländern und thematisiert Herausforderungen für die Zukunft.
Steckbrief
Name: Kolja Huneck
Heimat: München
Jahrgang: 1994
Ausbildung:
Codarts Rotterdam, Niederlande
Objektmanipulation (B. A.)
Schwerpunkt:
Objektarbeit, Jonglage, Zauberei
Auftrittswunsch:
Aktuell möchte ich gerne viele kleine Orte und Zuschauer:innen erreichen, die sonst wenig Zugang zu Kultur haben.
Meine Passion:
„Zirkus ist für mich eine spannende Kunstform und -sprache, um durch geschaffene Atmosphären und erzählte Geschichten Menschen zu berühren.“
Interview
Wie sah dein Weg vom ersten Kontakt mit Zirkus bis hin zum Besuch einer professionellen Zirkusschule aus?
Kolja: Auf jeden Fall lag dazwischen viel Zeit. Angefangen habe ich als Kind beim Zirkusprojekt „Lilalu“, das in den Sommerferien in München stattfand. Das Jonglieren und Diabolo Spielen haben sich dann zu einem Hobby weiterentwickelt. Durch meinen Klassenkameraden Lukas Brandl bin ich zusätzlich auf die Zauberei gestoßen. Da uns beide die Faszination für Jonglage und Magie geeint hat, haben wir begonnen, beide Disziplinen miteinander zu verbinden und waren fortan mit unserer Duo-Nummer in ganz Deutschland unterwegs. Nach der Schule haben wir uns entschieden, an einer Probewoche in der Zirkusschule Rotterdam teilzunehmen, um uns anschließend dort zu bewerben.
Gab es für dich einen Moment, in dem du gewusst hast: „Jetzt will ich mich bewerben?“
Kolja: Das ist tatsächlich eher Stück für Stück passiert. Ohne zu wissen, wie unsere Chancen waren, dachten wir „Probieren wir es einfach aus!“. Wenn wir nicht angenommen worden wären, hätten wir uns auch bei anderen Schulen beworben. Da Rotterdam unsere erste Wahl war, wir dort direkt eine Zusage bekommen haben und uns die Stadt gefiel, haben wir uns dafür entschieden – da war auch keine große Überlegung mehr nötig.
Jonglage und Zauberei werden häufig als zwei Bereiche angesehen und strikt voneinander getrennt.
Kolja: Ja, das stimmt. Vor allem bei Conventions werden Jonglage und Zauberei häufig als zwei nicht befreundete Nachbardisziplinen dargestellt. Deswegen finde ich auch die neueren Strömungen der Zauberei sehr spannend, bei denen der Fokus mehr auf der Geschichte des Stücks liegt. Ich glaube, dass vor allem das neue Verbinden zweier Disziplinen innovatives Potential besitzt.
Wie würdest du einer Person, die dich nicht kennt, beschreiben, welche Art von Kunst du machst?
Kolja: Generell würde ich sagen, dass ich gerne mit verschiedenen Objekten arbeite, die aktuell hauptsächlich aus Scheiben bestehen. Ich jongliere diese Scheiben in der Luft, am Boden und rolle sie beispielsweise in meinem Solo-Stück auch auf einer Rampe aus Stoff. Der Stil kann von einer narrativen Geschichte mit drei Charakteren bis hin zu einem abstrakten Solo-Stück variieren. In der Arbeit mit den Scheiben trete ich als Artist ziemlich in den Hintergrund, verlasse auch mal die Bühne und lasse nur das Licht und die Scheiben für sich sprechen. Bei dem Stück „Sawdust Symphony“ hingegen geht es um mich als einen von drei Charakteren in einer absurden Welt rund ums Heimwerken. Aus diesem Grund würde ich sagen, dass ich nicht einen spezifischen Stil besitze, die Sprache der Objekte aber in allen Fällen eine gemeinsame Verbindung ist.
Ist dein aktuelles Stück „CM_30“ aus deiner Abschlussarbeit „me-mo-ri“ entstanden und knüpft es daran an?
Kolja: Ja, da ist auf jeden Fall eine Verbindung durch die Jonglierobjekte vorhangen. In meiner Abschlussnummer „me-mo-ri“ an der Zirkusschule Rotterdam geht es um die theatrale Auseinandersetzung mit den Themen Degradierung, Vergänglichkeit und Gedächtnisverlust. Da die Schallplatten sehr schnell zerbrochen sind, hat sich die Arbeit mit abstrakteren Trainings-Scheiben aus Plexiglas entwickelt. Dadurch dachte das Publikum nicht mehr an das Objekt „Schallplatte“, sondern hatte eine neutralere Sicht darauf. Das hat mich irgendwie fasziniert. Das Stück „CM_30“ mit den farbigen Scheiben behandelt kein konkretes Thema, sondern vielmehr die Arbeit mit Licht und die Entspannung des Publikums. Normalerweise ist Zirkus aufregend. Ich will die Frage behandeln, ob man dort auch Entspannung und Entschleunigung erlebbar machen kann. Man könnte auch sagen, dass im Zirkus häufig eine Art Steigerung im Sinne von höher und schneller existiert. Mit „CM_30“ habe ich versucht, das Gegenteil zu erzeugen: eine meditative Stimmung.
Du verwendest Schallplatten, bunte Scheiben, Holzstämme und Kreisel – alles rund.
Kolja: Ich finde das Runde, beziehungsweise das Kreisen und die damit verbundene Bewegung einfach ansprechend und sehr schön. Es liegt sicherlich auch daran, dass ich gerne mit den bisherigen Objekten gearbeitet habe und man ähnliche Dinge mit verschiedenen runden Formen erzeugen kann. Wenn ich jetzt plötzlich einen Würfel hätte, dann fällt viel bereits Gelerntes weg, was ich in den vergangenen Jahren erarbeitet habe.
Du hast mit klassischem Zirkus angefangen und bist jetzt in der zeitgenössischen Szene angekommen. Hast du eine Erklärung dafür, wieso viele Artist:innen genau wie du ihre Richtung ändern und einen ähnlichen Weg gehen?
Kolja: Ich glaube, in Deutschland ist es sehr schwierig, nicht mit klassischem Zirkus und „heppa“ anzufangen. Wenn ich an meine Jugend zurückdenke, waren es meistens klassische Zirkusshows, die ich gesehen habe. Der konkrete Zeitpunkt der Sensibilisierung für zeitgenössischen Zirkus war während meiner Zeit an der Schule in Rotterdam. Zu dieser Zeit war ich viel auf Zirkusfestivals in Belgien, Frankreich und Holland, wo man sehen konnte, wie unterschiedlich Zirkus genutzt und ausgelegt werden kann. Bei den Festivals wurde häufig eine Show als ganzes Stück und nicht als Kombination mehrerer Nummern gezeigt. Gleichzeitig ist man bei Objekten oder Disziplinen wirklich in die Tiefe gegangen. Ich würde sagen, dass es in Deutschland nicht möglich ist, mit zeitgenössischem Zirkus zu beginnen, da diese Art des Zirkus einfach zu wenig präsent ist, auch an Zirkusschulen. Es gibt sehr wenige Festivals, die in diese Richtung gehen. Das „ATOLL“ in Karlsruhe, das „Berlin Circus Festival“, das „Festival Perspectives“ in Saarbrücken, das „Tollwood“ aus München und ein paar weitere bilden da Ausnahmen.
Wie sehen momentan die Arbeitsbedingungen für dich als zeitgenössischer Zirkusartist in Deutschland aus?
Kolja: Zur Zeit meines Abschlusses im Jahr 2019 gab es in meinen Augen einen großen Unterschied zwischen Deutschland und Holland beziehungsweise Belgien. Im Ausland buchen deutlich mehr Theater zeitgenössische Stücke, koproduzieren und unterstützen sie. Paradoxerweise hat sich für einige Künstler:innen die Situation durch Corona in Deutschland verbessert, weil plötzlich mehr Theater ihre Bühnen und Proberäume zur Verfügung gestellt haben. So konnte ich beispielsweise in München das Theater für mich nutzen. In finanzieller Hinsicht hat sich auch einiges getan, weil zusätzliche Gelder auch im Zirkusbereich ausgeschüttet wurden. Ich hoffe, dass diese Fonds auch nach der Krise bestehen bleiben und die Zirkusbranche dauerhaft Mittel zur Verfügung gestellt bekommt, um die Produktionsbedingungen zu verbessern. Natürlich geht sowas auch nicht von heute auf morgen, auch in anderen Ländern hat dies Jahre gedauert.
Du bist beim Bundesverband Zeitgenössischer Zirkus e.V. (BUZZ) aktiv. Wie bringst du dich dort ein und was möchtest du damit erreichen?
Kolja: Ich habe angefangen, mich beim BUZZ Städtepol in München zu engagieren, an Round-Tables teilzunehmen und versucht, Austauschmöglichkeiten zwischen Artist:innen zu schaffen. Diese ganze Verbandsstruktur war mir neu und ich war fasziniert davon, wie viele Leute ehrenamtlich ihre Energie und Zeit aufbringen, um die Zirkusbranche bekannter zu machen. Der zweite Aspekt ist die Organisation des Förderprogramms „Zirkus ON“, 2019 gestartet als Projekt vom BUZZ, welches jährlich drei Produktionen in Deutschland unterstützt. Für mich ist das Programm ein sehr wichtiges Element zur Professionalisierung der deutschen Zirkusszene. Da früher auch meine Stücke erst durch Förderprogramme wie „Circunstruction“, „Circus re:searched“ und „circusnext“ unterstützt worden sind, wurde mir bewusst, wie wichtig es ist, von bereits bestehenden Strukturen und Netzwerken profitieren zu können.
Was wünschst du dir für deine Zukunft als Artist?
Kolja: Es wäre schön, mit einem Zirkusstück richtig viel in Deutschland touren zu können. In Frankreich gibt es beispielsweise Kompanien, welche nur dort mit mehr als 80 Shows im Jahr spielen. Diese touren dann von Stadt zu Stadt in kleinen Etappen und halten am nächstgelegenen Theater an. Das ist natürlich auch viel günstiger und nachhaltiger, leider aktuell in Deutschland aber noch nicht möglich. Als Künstler:in in Deutschland ist man darauf angewiesen, entweder andere europäische Länder oder nur die großen Städte zu bespielen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Tanz- und Theaterpublikum in Zukunft auch gerne mehr Zirkus sehen möchte. Es wäre auf jeden Fall ein großer Wunsch, in Deutschland in diesem Beruf arbeiten und davon leben zu können. Natürlich macht auch das Touren international sehr viel Spaß, aber dies würde ich lieber als Zusatz und nicht als Grundlage meines Arbeitsbereiches ansehen. Persönlich möchte ich gerne weiter kreativ sein, Stücke entwickeln, Stücke sehen, Leute treffen.
©ZirkusPlus, November 2021
Reportage über die Entstehung von Koljas Stück „CM_30“
Trailer zu dem Stück „Sawdust Symphony“ mit Kolja Huneck, Michael Zandl, David Eisele