Kathrin Wagner

Künstlerin des Monats

Künstlerin des Monats Februar 2022

Die Künstlerin des Monats ist Kathrin Wagner. Im Gespräch erzählt Kathrin von ihrem autodidaktischen Weg zur professionellen Artistin und ihrer Passion zur Ringjonglage. Wie lassen sich Zirkus und Spoken Word miteinander verbinden? Neben dieser Frage ist sie aktuell mit der Finalisierung ihres neuen Stücks „I Was Told“ beschäftigt, welches in diesem Jahr Premiere feiern wird. Zudem thematisiert sie die patriarchalen Strukturen in der Zirkuswelt, den Umgang mit sexistischen Sprüchen und die Herausforderungen als weibliche Zirkuskünstlerin.

In der Rubrik „Künstler:in des Monats“ präsentieren wir regelmäßig eine Person aus der deutschen Zirkusszene. In Interviews stellen diese ihre Stücke vor, sprechen über ihre Leidenschaft und teilen ihre Erfahrungen.

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Kathrin Wagner (Foto: Michael Höhne)

Steckbrief

Name: Kathrin Wagner

Wohnort: Berlin

Jahrgang: 1989

Ausbildung: Autodidaktin

Schwerpunkt: Ringjonglage, Spoken Word

Auftrittswunsch: Fringe Festival Edinburgh

Meine Passion: 
„Das Gefühl auf der Bühne, wenn ich eine Verbindung zwischen mir und dem Publikum spüre. Ich hoffe, jeder Mensch findet in seinem Leben so ein Gefühl.“

Kontakt
Website Instagram

Interview

Du hast dich autodidaktisch zur Artistin ausgebildet. Wie kam es dazu
Kathrin: Mit 13 Jahren lernte ich in einer Schul-AG das Jonglieren und Einrad fahren. Richtig „Klick“ machte es in meiner Zeit an der Universität. In dieser Phase hatte ich an den Wochenenden Zeit, um zu Jonglier-Conventions zu fahren. Zusätzlich unterstützte mich meine Sportdozentin sehr, indem sie die Uni-Sporthalle täglich zwei Stunden für mein Jonglage-Training zur Verfügung stellte. Meine Vorlesungen legte ich um meinen Belegungsplan der Sporthalle herum. Am Ende meines Studiums war klar: Jetzt oder nie. Ich zog nach Berlin, trainierte intensiv und besuchte viele Workshops. Bis heute versuche ich mehrmals im Jahr an Workshops teilzunehmen, deren Inhalt ich nicht beherrsche.

Du hast keine Zirkusschule besucht. Fehlt dir diese Erfahrung?
Kathrin: Es gibt Menschen, für die ist eine Zirkusschule genau die richtige Wahl. Ich wäre an einer Zirkusschule sicher unglücklich gewesen und merkte, dass mein Weg ein anderer ist. Als viele meiner Freund:innen an die Zirkusschule gingen, dachte ich natürlich auch über diese Option nach. Aber ich liebte mein Anglistik-Studium und entschied mich deshalb dafür, meinen Bachelor-Abschluss und die Jonglage parallel zu verfolgen. Die Inhalte des Studiums haben bis heute einen großen Einfluss auf meine Stücke.

Warum schlägt dein Herz für Ringe?
Kathrin: Am Anfang trainierte ich Bälle, Ringe und Keulen. Irgendwann lernte ich den Trick „Pancakes“, bei dem sich die Ringe, wie „Pancakes“ in der Pfanne, um sich selbst drehen. Das war der erste Trick, bei dem ich merkte: Das ist genau mein Ding. Seit diesem Moment jongliere ich nur noch mit Ringen.

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Kathrin Wagner (Foto: Jan Ole Laugesen)

Spoken Word bezeichnet ein Genre der Darstellenden Kunst, bei dem ein lyrischer Text oder eine Erzählung vor Publikum vorgetragen wird. Was reizt dich, deine Zirkusstücke mit Spoken Word zu verbinden?
Kathrin: Zirkus war der Grund, warum ich mit Spoken Word begann. Über Jahre sammelte ich sexistische Kommentare, die mir über die Jahre verbal und schriftlich entgegengebracht wurden. Diese wollte ich zu einem Gedicht verbinden. Persönlich konnte das Gedicht nur werden, wenn ich es selbst schreiben würde. Deswegen versuchte ich mich selbst daran. Bis zur ersten Präsentation des Gedichts hatte ich noch nie auf der Bühne gesprochen und es war eine besondere Erfahrung. Spoken Word öffnet eine neue Möglichkeit, ergänzend zur Zirkuskunst, das Publikum anzusprechen. Die Sprache schafft eine direktere Verbindung mit dem Publikum.

Aktuell arbeitest du noch an deinem neuen Solo-Stück „I Was Told“. Wie ist die Idee entstanden und welchen Einfluss hat die Pandemie?
Kathrin: Der Auslöser war, als ich durch die Pandemie im Jahr 2020 Jobs für ein ganzes Jahr verlor. Deshalb entschied ich mich dazu, nur noch das zu machen, worauf ich Lust hatte. Ich konnte nichts mehr verlieren, wodurch der Druck sehr niedrig, der Spaß aber umso höher war. Ich bewarb mich für viele Förderungen, bekam aber nur Absagen. Die meisten Residenzen finanzierte ich aus eigener Tasche. Irgendwann kam ich an an einen Punkt, an dem sich meine Energie und wirtschaftlichen Reserven dem Ende zuneigten. Im Bekanntenkreis starteten einige Freund:innen Crowdfunding-Kampagnen. Da dachte ich erneut: Ich habe nichts zu verlieren, ich versuche auch das. Glücklicherweise funktionierte es super und war sehr erfolgreich. Durch das Geld konnte ich meinen Videografen, meine Musikerin und mein Kostüm finanzieren. Für 2022 habe ich zum Glück mehrere Förderungen erhalten.

Mit was setzt du dich in deinem Solo-Stück „I Was Told“ auseinander?
Kathrin: Das Thema des Stücks ist Identität. Ich möchte mich mit der Eigen- und Fremdwahrnehmung auseinandersetzen. Was definiert mich? Wie beeinflusst meine Eigen- und Fremdwahrnehmung mein Tun und Handeln? Um diese Fragen zu beantworten, lasse ich mich vom Publikum manipulieren und beschäftige mich mit der Macht von Worten und Taten. Wir machen uns viel zu wenig über das Gewicht der Worte bewusst. Deswegen gefällt mir Spoken Word, da man sich auf diese Art präzise ausdrücken und Menschen bestärken kann. Thematisch greift das Stück unter anderem auch Feminismus auf. Zum einen finde ich Feminismus ein spannendes und relevantes Thema. Zum anderen interessiert mich auch der Einfluss von Sprache und Identität im Feminismus. Wie nimmt das Publikum mich als Künstlerin und Frau auf der Bühne wahr?

Kathrin Wagner (Foto: Cosmin Cirstea)

Du bist Artistin in der Kompanie 7 Woman. Wie würdest du euch als Kompanie beschreiben?
Kathrin: Anna-Katharina Andrees ist unsere Regisseurin. Ihr erster Satz war: „Ich habe euch wegen eurer Persönlichkeit ausgewählt und es ist mir egal, was ihr auf der Bühne macht.“ Das ist mir vorher noch nie passiert. Diese Sichtweise erkennt man auch in unserem Stück: Sechs unterschiedliche Frauen stehen auf, und Anna-Katharina hinter der Bühne, und sind dennoch durch eine gemeinsame Energie verbunden. Oft werde ich gefragt, ob unser Stück „Nora“ ein feministisches Stück sei. Wir sind zwar sieben Frauen, haben aber keine feministische Intention im Stück.

Bist du politisch auf der Bühne?
Kathrin: Die Frage ist, ob nicht alles auf der Bühne eine Intention hat und damit politisch ist. Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich auf jeden Fall feministisch, weil mich das Thema in meinem Alltag sehr beschäftigt. Politisch interessiert bin ich auch. Ich würde also schon sagen, dass ich auch auf der Bühne politisch bin.

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Kathrin Wagner (Foto: Jan Ole Laugesen)

Wie patriarchal ist die deutsche Zirkusszene?
Kathrin: Genauso patriarchal wie unsere Gesellschaft. Wenn man einmal angefangen hat, das Patriachat zu sehen, sieht man nichts anderes mehr. Am Anfang dachte ich auch immer: „Ist doch alles wunderbar, warum braucht man Feminismus?“. Als ich dann aber das erste Mal mit einem Mann zusammengearbeitet habe, ist mir klar geworden, wie krass der Unterschied ist. Vor allem in der Varieté-Szene ist das zu spüren. Die Zirkus-Szene ist ein Spiegel der Gesellschaft.

Was sind besondere Herausforderungen als Artistin/Artist/Diverse Person?
Kathrin: Ein patriarchales System unterstützt keine Frauen und ist damit unter anderem ein strukturelles Problem. Als Artistin hatte ich viele Situationen, in denen ich nicht ernst genommen oder auf ein Objekt reduziert wurde.

„Du musst mehr Haut auf der Bühne zeigen.“

„So wie du aussiehst, kann man dich nicht buchen.“

„Du bist nicht dünn und sexy genug.“

„Du musst sexy auf der Bühne sein, sonst verkauft sich das nicht.“

– sowas passiert mir in regelmäßigen Abständen. Ich habe keine Lust mehr auf Gala-Shows, bei denen Frauen halbnackt und sexy auf der Bühne stehen sollen und für nichts anderes dort sind. Bei den Jongleuer:innen ist der Männeranteil sehr hoch. Wenn ich mir überlege, wie ich früher behandelt wurde, wundert mich es nicht, dass es so wenige Jongleurinnen gibt. „Frauen ist es generell nicht möglich, so gut zu jonglieren wie Männer“ – irgendwann hinterfragt man das nicht mehr.

Welche feministischen Fortschritte sind in den letzten Jahren in der Zirkus-Szene zu verzeichnen?
Kathrin: Ich würde jetzt gerne sagen, dass sich die Welt komplett verändert hat. Es gibt auf jeden Fall mehr Frauen, die jonglieren und sich trauen, auf der Bühne zu stehen. Artistinnen erleben immer noch Sexismus. Meine Hoffnung ist, dass es mehr Menschen gibt, die sich hinter Frauen stellen und sexistischen Meinungen entgegentreten. Gefühlt wächst das Bewusstsein für Sexismus im zeitgenössischen Zirkus langsam, aber sicher.

Was wünschst du dir für deine Zukunft?
Kathrin: In meinem Kopf dreht sich alles um mein neues Solo-Stück „I Was Told“. Aktuell wünsche ich mir, dass das Stück eine großartige Premiere feiern wird und ich Menschen durch meine Worte bestärken kann. Für mich gibt es aktuell keine Welt außerhalb dieses Stückes und ich freue mich sehr auf die Premiere im August.

©ZirkusPlus, Februar 2022

Trailer von Kathrins Solo-Stück „I was told“ 

YouTube

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Trailer “Nora“ von Kathrin und ihrer Kompanie 7 Woman

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