Lea Toran Jenner
Künstlerin des Monats
Künstlerin des Monats Dezember 2021
In der Rubrik „Künstler:in des Monats“ stellen wir regelmäßig eine Person aus der deutschen Zirkusszene vor. In Interviews stellen diese ihre Arbeit vor, sprechen über ihre Leidenschaft und teilen ihre Erfahrungen. Die Künstlerin des Monats im Dezember ist Lea Toran Jenner. Im Gespräch erzählt Lea von ihrer erfolgreichen Duo-Cyr-Nummer, ihrem Alltag bei Cirque du Soleil, der Balance zwischen Festanstellung und Selbstständigkeit und den Vorteilen von einem guten Catering. Zudem thematisiert Lea ihre Präsenz bei der Social-Media-Plattform TikTok, wo sie regelmäßig virale Hits landet.
Steckbrief
Name: Lea Toran Jenner
Heimat: Ulm
Jahrgang: 1992
Ausbildung:
National Circus School Montreal, Kanada
Schwerpunkt:
Cyr-Rad Duo & Solo, Kronleuchter
Auftrittswunsch:
Cyr Wheel Duo auf dem internationalen Zirkusfestival Monte Carlo
Meine Passion:
„Wenn ich auf der Bühne stehe, vergesse ich, dass ich dafür bezahlt werde.“
Interview
Was waren für dich die drei wichtigsten Momente auf deinem Weg zur professionellen Artistin?
Lea: Ich wollte eigentlich immer zum Zirkus. Das erste wichtige Ereignis war die Motivation meiner Eltern, mich früh zum Turnen zu schicken, da sie zwischen Turnen und Zirkus sehr viel Überschneidungen gesehen haben. Der zweite wichtige Moment war meine Ausbildung zur Artistin an der Zirkusschule in Montreal, durch die ich zwei Vorteile gewonnen habe: Die sehr gute Ausbildung und den Ruf als Absolventin. Das dritte Ereignis war der Auftritt beim Zirkusfestival Cirque du Demain in Paris 2015 mit meiner Duo-Cyr-Nummer und damit der für mich finale Schritt in die Professionalität und Sichtbarkeit.
Was sind deine Schwerpunkte als Artistin?
Lea: Aktuell arbeite ich hauptsächlich mit dem Cyr Wheel an Solo- und Duo-Nummern. Außerdem fokussiere ich mich auf die Disziplin des Kronleuchters (Aerial Chandelier), die ich eher bei Galas und Events zeige. Nummern mit dem Cyr Wheel hingegen präsentiere ich eher bei Shows und Varieté-Festivals.
Mit der Duo-Nummer am Cyr Wheel haben du und dein Cyr-Partner sehr viele Preise gewonnen.
Lea: Ich würde sagen, dass diese aus artistisch-technischer Sicht sehr gut und die Konstellation selten ist. Wir haben uns auch schon oft gefragt, warum das wenig Artist:innen nachmachen. Ich glaube, es liegt daran, dass es technisch sehr anspruchsvoll ist und somit sehr viel Trainingszeit benötigt. Ein weiterer Grund für unseren Erfolg ist meiner Meinung nach die Kompatibilität meines Bühnenpartners und mir. Etwas Glück war auf jeden Fall auch dabei.
Woran erkennt man ein typisches Zirkusstück von dir?
Lea: Das erste was mir in den Kopf kommt, ist meine Bühnenpräsenz, die ich als elegant, verspielt und feminin beschreiben würde. Licht, Musik und Handlung halte ich meistens heiter und fröhlich. Wichtig finde ich die Repräsentation von Frauen in der Zirkusbranche, die meiner Meinung nach immer noch sehr unterrepräsentiert sind. Ich bin stolz, dass ich durch meine Solo-Nummern Frauen in der Branche repräsentieren und anderen Artistinnen Mut machen kann. Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass weibliche Solo-Nummern nicht den Stempel „supersexy“ haben müssen, sondern auch durch anspruchsvolle, artistische Technik und Handlung glänzen dürfen.
Auf der einen Seite bist du eine selbständige Artistin, die sich persönlich um Jobs, Festivals und Shows kümmert. Auf der anderen Seite wirkst du bei großen langfristigen Produktionen, wie bei Cirque Éloize oder Moulin Rouge mit. Wie funktioniert das zusammen?
Lea: Ich würde immer noch sagen, dass ich selbstständig bin, obwohl ich hin und wieder mal Angestellten-Engagements habe. Aktuell bin ich beispielsweise 18 Monate unter Vertrag bei Cirque du Soleil, im Moulin Rouge waren es zwei und bei Cirque Éloize ein Jahr. Ich mag beide Varianten, aber beides hat natürlich auch seine Vor- und Nachteile.
Wenn du selbstständig bist, musst du dich nach Jobs umschauen, hast aber im Gegenzug mehr Freiheiten in der Kreativität und dem Privatleben. Auf der anderen Seite steht das Angestellten-Verhältnis, bei dem vor allem die organisatorischen Aspekte wie Trainings, Proben und Catering für mich übernommen und geplant werden. Gerade beim Cirque du Soleil ist das, im positiven Sinne, sehr extrem. Reist die Produktion in ein anderes Land, wird mir vom Visum über das Hotel und die Flüge bis hin zu Trainingsmöglichkeiten alles abgenommen. Vor Ort warten dann schon Trainer:innen mit einem speziell für dich zusammengestellten Workout-Programm. Das sind alles Aspekte, bei denen man als Artist:in denkt „wow, das ist richtig cool“.
Aber die vorgeschriebene Struktur geht auch auf die Kosten der eigenen Freiheit. Trotz der beschränkten Zeitspanne überlege ich mir schon immer, was danach kommen könnte. Irgendwann wird sich das Gefühl „ich habe hier alles gemacht, was ich machen möchte“ einstellen und ich möchte Neues erleben. Aber ich habe ja gerade erst bei Cirque du Soleil angefangen und bin so zufrieden mit der Arbeit hier. Ich habe eine super Zeit und besonders in der Pandemie fühlt es sich als Artist:in sehr sicher an.
Aktuell bist du in den Proben für die Show „Luzia“ von Cirque du Soleil.
Lea: Das war ein totaler Zufall. Wenn man in Montreal an der Zirkusschule seinen Abschluss gemacht hat, wird man automatisch in die Kartei von Cirque du Soleil aufgenommen. In der Vergangenheit hatten wir mit den Casting-Direktor:innen schon mehrere Male Kontakt, aber aus verschiedenen Gründen hat es nie gepasst. Aus dem Nichts kam dann eine Anfrage über Facebook. Dazu muss man wissen, dass Casting-Direktor:innen des Cirque du Soleil oft über Facebook ihre Artist:innen kontaktieren, da dort die Antwortzeit kürzer als per E-Mail ist. In der Anfrage stand dann im Großen und Ganzen: „Hey, ich kann dir die folgende Show anbieten, die Laufzeit geht 18 Monate, bist du interessiert?“.
So werden 10-12 Artistin:innen, die in die Rolle passen könnten, kontaktiert. Die letzte Entscheidung wird dann aus einem Team von Artistic Directors und Coaches getroffen. Wegen der langen Vertragslaufzeit habe ich mir zwar erst einmal einige Gedanken gemacht, habe den Vertrag dann aber dankend unterschrieben. Dass die Show durch Europa touren wird, ist ebenfalls in meine Entscheidung eingeflossen. Das ist perfekt für mich und ich freue mich sehr, dass alles funktioniert hat.
Wie frei und kreativ kann man sich in einer so großen Produktion ausleben?
Lea: Ich glaube, es kommt sehr darauf an, was genau man bei Cirque du Soleil macht. Wirst du für eine neue Show, die noch entwickelt wird, gebucht, kannst du dich mit deinen Talenten, künstlerischen und kreativen Möglichkeiten in der Entwicklung einbringen. In meinem Fall existierte die Show bereits. Zwei Cyr-Wheel-Artistinnen sind abgesprungen, die unter anderem von mir ersetzt werden. Dementsprechend geht es primär darum, die bestehende Show zu lernen, um im weiteren Verlauf seine eigene Note einzubringen. Für diese Show von Cirque du Soleil ist es wichtig, dass der persönliche Charakter auch auf der Bühne präsent ist. Die grundlegende Choreografie ist vorgeben, aber bestimmte Soli, meine Cyr-Wheel-Nummer, können und sollen komplett frei gestaltet werden.
Wie wir uns auf der Bühne bewegen, wo wir uns wann befinden sollen und welche Musik läuft, ist vorgegeben. Auch der Fokus des Trainings verschiebt sich bei einer größeren Produktion: Aktuell trainiere ich nichts, was nicht in irgendeiner Form relevant für die Show ist. Derzeit besteht mein Training aus Cyr-Wheel, Pole-Dance, Workout und viel Neuem wie Singen und Trommeln. Ab Showstart habe ich dann wieder mehr Zeit, um zu trainieren, neue Dinge auszuprobieren, da man alles benutzen kann, was der Zirkus zur Verfügung stellt. In dieser Zeit kann ich auch an neuen Dingen arbeiten, wenn ich das möchte.
Wie gut ist das Catering von eins bis zehn?
Lea (strahlend): Ganz sicher eine Zehn! Ein Highlight ist der Entsafter.
Wo verordnest du dich in der Zirkusszene?
Lea: Ich differenziere, wenn es um den Zirkus als großes Ganzes geht, eigentlich zwischen modern und traditionell. In beiden Bereichen gibt es viele Unterstufen. Meiner Meinung nach komme ich aus dem modernen Bereich mit der Unterkategorie „neoklassisch“. Der Fokus liegt hier nicht nur auf dem Aufregenden wie beim traditionellen Zirkus. Wenn ich auf der Bühne stehe, stehe ich dort als Mensch mit Emotionen, die ich durch meine Nummer dem Publikum vermitteln möchte. Ästhetik, Eleganz und Präsentierbarkeit spielt für mich eine genauso wichtige Rolle. Ich würde mich nicht dem zeitgenössischen Zirkus zuordnen, da es dort wirklich nur um die Person geht und alles drum herum reduziert wird.
Bei mir ist noch ein bisschen mehr „Bling-Bling“ zu finden. Teilweise sind es kleine Nuancen, welche die jeweiligen Genres unterscheiden. Gerade im Bereich der darstellenden Kunstformen sagen viele Menschen, dieses und jenes sei nicht richtig, eine Sache sei besser als die andere, das ist keine Kunst, sondern Entertainment. Wenn man die Zirkusausbildung absolviert hat, wird man sehr getriezt, dass man Kunst und Entertainment nicht miteinander mischt. Kunst und Entertainment gehören für mich in der Zirkuswelt zueinander und nicht voneinander getrennt. Als Artist:in muss man dort seinen passenden Platz finden. Das ist gar nicht so leicht und dauert seine Zeit.
Du hattest in diesem Jahr einige TV-Berichte und bist sehr aktiv auf YouTube, Instagram, Twitch und TikTok. Welche Rolle spielt für dich die Öffentlichkeitsarbeit?
Lea: Supercoole Frage, weil es aktuell das Thema ist, mit dem ich mich am meisten beschäftige. Während Corona gab es keine Shows mehr, weshalb ich viel zuhause in Ulm war. Eine junge Praktikantin schrieb daraufhin für die lokale Zeitung einen wunderschönen Artikel, welcher wiederum Radiostationen und lokale Fernsehsender begeisterte. Die Geschichte einer jungen Zirkusartistin aus Ulm, die bereits auf der ganzen Welt getourt ist, kam bei vielen Menschen an. Dadurch nahm ich dann an vielen kleinen Interviews und Berichten im Fernsehen und Radio teil.
Ich begann auf Twitch, meine eigene Show zu machen: „Leas Late Night Zirkus Show“. In Berlin stellte ich mir eine Rigging-Station ins Wohnzimmer und lud jede Woche neue Artist:innen ein. Natürlich hat es sich finanziell und vom Aufwand nicht gelohnt, war aber ein schönes Projekt in einer Zeit, in der es kaum Alternativen gab. Langfristig möchte ich diese Show an das Fernsehen oder eine Produktion verkaufen, die das produzieren möchte. Oder ich produziere diese Show selbst und lasse sie durch interessierte Menschen und Sponsoren finanzieren. Dazu benötige ich aber eine Reichweite und muss bekannter werden. Deshalb habe ich meine freie Zeit genutzt, um neue Menschen über TikTok mit meinem Content zu erreichen. Für meine zukünftige Show ist das ein potenzielles Publikum.
Bist du eine Influencerin?
Lea: Es interessieren sich wirklich viele Leute für Zirkus, wissen aber nicht so richtig, um was es geht. Darüber hinaus gibt es eigentlich keine Gesichter, die Antworten auf die Fragen der interessierten Menschen geben. Das Wissen über Zirkus und die ganzen Fragen drum herum möchte ich offen beantworten. Da das aktuell noch niemand macht, habe ich gedacht, versuche ich mich mal. Influencer:innen sind ja meistens Menschen, die einem etwas aus eigener Erfahrung heraus raten. Rein aus der Zirkus-Perspektive würde ich sagen, ja ich bin Influencerin, weil ich dort vielen Leuten Fragen beantworte und Tipps gebe. Ich fühle mich aber nicht den Influencern zugehörig, die auf Social Media Produktwerbungen machen und ein wirtschaftliches Interesse vertreten.
TikTok ist sehr erfolgreich und gleichzeitig sehr polarisierend.
Lea: Ich habe einfach das Gefühl, dass dort das Potenzial, gefunden zu werden, riesig ist. Man hat die Möglichkeit an allen Ecken der Welt Menschen zu erreichen. Die Reichweite ist im Vergleich zu anderen Plattformen wie Instagram oder YouTube so viel größer. Als ich angefangen habe, war ich mir auch noch nicht ganz sicher, ob das etwas für mich ist. Ich fand es aber sehr gut, dass ich auf dieser Plattform noch niemanden kannte und hatte somit auch kein Problem, mich bei meinen Beiträgen auszuprobieren. Deshalb war und ist TikTok für mich eine gute Wahl, da ich wie jede:r andere auch nicht immer perfekt bin, gerade auch bei Trainingsvideos.
Zu Beginn habe ich solche nicht perfekten Videos nur auf TikTok gepostet, aber irgendwann habe ich mich dann auch auf Instagram getraut. Aktuell sehe ich meine Beiträge auch nicht mehr als Experiment, sondern bin, seitdem ich über 100.000 Follower habe, auch wirklich stolz. Es gibt immer noch viele Leute, die darüber lachen, da sie auch keine Berührungspunkte zu dieser Plattform haben. Aber auch wenn Menschen sich darüber lustig machen und sich fragen „TikTok, wer nutzt den sowas?“ nehme ich das nicht zu ernst.
Wie sieht deine typische Followerin oder dein typischer Follower aus?
Lea: Fast 90 % meiner Abonnent:innen sind Frauen, was ich sehr schätze. Das gibt mir auch viel mehr Freiheit und -plakativ gesagt – das Gefühl, nicht nur eine Show für Spanner machen zu müssen. Das Alter meiner Abonennt:innen verrät mir TikTok leider nicht, sie sind aber im Verhältnis zu Instagram deutlich jünger. Aber das ist total im Wandel. In ein oder zwei Jahren werden auch deutlich mehr Menschen in meinem oder höheren Alter TikTok nutzen. Wenn das eintritt, bin ich allen einen Schritt voraus.
©ZirkusPlus, Dezember 2021
Kontakt zu Lea’s Social Media Kanälen
Trailer von Lea’s Late Night Circus Show
Komplette Solo-Cyr-Wheel-Nummer aufgenommen im Moulin Rouge