Mad Magic im Wintergarten ist Varieté klassisch ironisch
Wintergarten Berlin
Mad Magic im Wintergarten ist Varieté klassisch ironisch
Mit „Mad Magic″ bringt der Berliner Wintergarten das kuschlig-vertraute Varieté für die kalte Jahreszeit auf die Bühne. Allerdings bricht die Show mit ein paar Erwartungen an das unterhaltsame Nummernprogramm. Klassiker wie die zersägte Jungfrau, der unglaubliche Zauberer oder der charmante Moderator treten auf – aber ein klein wenig anders als gewohnt.
Was der Berliner:innen kennen, langweilt sie. Die neue Show Mad Magic – The Crazy Variety Show im Wintergarten nimmt die Herausforderung an und versucht die Gäste zu überraschen mit Paradebeispielen des Varietés, die man alle schon gesehen hat. Nur haben die Zuschauer:innen nicht damit gerechnet, dass die Klassiker ein wenig abgewandelt sind.
Am auffälligsten ist das ironische Spiel mit den Erwartungen an das Varieté sicherlich beim Showmaster Hieronymus. Im klassischen Varieté hält die einzelnen Nummern ein Moderator zusammen, der so charmant und liebenswürdig auftritt wie der erträumte Schwiegersohn. Hieronymus, der Abendmeister in Mad Magic, verweigert sich dieser Rolle. Statt freundliches Geleit durch den Abend zu geben, grummelt und knurrt der Mann in der schwarzen Kluft wie im Klischee des Ur-Berliners. Hieronymus ist bekannt als Comedy-Zauberkünstler; er wirbt auf seiner Webseite mit dem Satz: „Sie suchen einen netten, plaudernden Moderator? – Nehmen Sie einen anderen.″
Auch innerhalb der einzelnen Nummern werden Erwartungen gebrochen. Einer der Stars ist Dion van Rijt, der in mehreren Rollen auftritt. Zum Beispiel als Magier. Allerdings ist er ein Illusionist, der bewusste Pannen in seine Nummer einbaut. Dann ist die Illusion perdu, wenn die Zuschauer:innen sehen, wie die zersägte Jungfrau ihre Beine im Kasten anwinkelt. Doch eine Sekunde später folgt eine Wendung, die unerklärlich bleibt. Auch Zauberer Otto Wessely gehört zu den Stars der Show. Er ist ebenfalls an manchen Stellen bewusst nachlässig, sodass jeder seinen Trick auch ohne Google durchschauen kann. Und auch bei ihm schauen eine Sekunde später selbst allwissende Personen im Saal ratlos nach vorne. Ja, es wird viel gezaubert in Mad Magic (aber nicht nur). Charlie Mag besitzt einen Ärmel, der einen endlosen Kartenstapel beherbergen kann. Hieronymus spielt mit Püschelküken, die an einer Schnur verbundenen auf und ab gleiten. Solange, bis – Abrakadabra – jede Verbindung aufgelöst scheint.
Das englische Wort mad bedeutet bösartig, wahnwitzig, irrsinnig. Doch ganz so extrem wird es bei Mad Magic – The Crazy Variety Show nicht. Revolution wird nicht gespielt. Es wird nur mit den Erwartungen der Zuschauer:innen gespielt. Unheimlich wird es kurz gegen Ende der Show, wenn die Messerwerfer:innen Igor und Tatjana bei hämmernder Musik und mit verzerrtem Gesichtsausdruck loslegen und geradezu mörderische Wurf- und Schießübungen zeigen. Den Gegenpunkt zu den Lebensmüden setzt der Romantiker Darren Burrell mit seiner Seifenblasen-Nummer. Bei dieser schweben kleine Blasen in größeren. Auch eine Art, den Saal zu verzaubern.
Magic übersetzen nicht wenige Englisch-Wörterbücher mit Zaubertrick. Aber ist Mad Magic auch magisch, springt der Zauberfunke auf das Publikum über? Zunächst ist zu sagen, dass der Berliner Wintergarten im Prinzip immer einen gelungenen Abend bietet. Am Eingang in der Potsdamer Straße hängt ein Schild, auf dem „W wie Varieté″ steht. In Abwandlung dieses Mottos könnte Mad Magic als Varieté wie Vrüher bezeichnet werden. Alles ist da, alles ist wohlig vertraut. Aber es sind Abweichungen eingebaut, damit der anspruchsvolle Berliner, der immer alles schon kennt und gesehen hat, sagen kann: „Das war dann doch mal neu″. Dieses ironische Spiel mit der altehrwürdigen Kunstform Varieté gelang im letzten Jahr überzeugend, als der Wintergarten Golden Years (siehe Artikel „Goldene 20er und das Heute″) zeigte.
Andrei Schnell