Meisterduo Sean Gandini und Kati Ylä-Hokkala bei Play

Gandini Juggling

Meisterduo Sean Gandini und Kati Ylä-Hokkala bei Play

Halte bloß den Ball nicht flach! So geht ein Merksatz für Jongleur:innen und so lautet auch das Motto der diesjährigen Gastspielreihe Play im Chamäleon Berlin. Die Reihe ist ungewöhnlich, mitreißend und eine weite Anreise wert. Nummer zwei in der Reihe, die vom 10. Januar bis 11. Februar gezeigt wird, war Gandini Juggling. Ihr Stück The Games we play schöpft aus dem Vollen.

"Duo Kati Ylä-Hokkala bei Play im Chamäleon Berlin." (Foto: Andrei Schnell)

„Or is it a show″ (Oder ist es nur ein Schauspiel?) fragt Sean Gandini zwischendurch und wedelt mit den Händen. Das Wackeln soll andeuten, dass seine Frage ironisch gemeint ist. Denn natürlich ist das gut einstündige Stück The Games we play eine Show. Und keine Unterrichtung (lecture). Das hat er in seinem fröhlichen Redefluss zwar gerade eben behauptet, war aber eben nicht ernst gemeint. Oder doch? Und schon spricht er weiter, die Show ist wie ein Vortrag.
Nur dass der Redner dabei zusammen mit seiner Partnerin oder allein jongliert. Mit drei Bällen, mit vier, mit fünf. In der Luft oder auf dem Tisch. Waagerecht zu jonglieren, also Bälle auf einer Ebene abzulegen, fügt sich in The Games we play stimmig ein. Denn es geht um Muster. Den Rhythmus des Werfens und Fangens übersetzt Sean Gandini dem Publikum wie in einem Urania-Vortrag in Farbfolgen. Und diese wiederum überführt er in Musik.

Und dann, während er mit bunten Bällen jongliert, spricht er übergangslos von der Geschichte der Jonglage. Und führt gleichzeitig in deren Philosophie und Mathematik ein. Das klingt alles verrückt und doch es kommt den Zuschauer:innen im Moment der Show naheliegend vor. Schade, dass das deutsche Wort Lehrstück so nach Abiturprüfung klingt. Sonst würde der Begriff, mit dem Bertolt Brecht künstlerischen Anspruch und Verständlichkeit verbinden wollte, gut zu dem passen, was das Duo Sean Gandini und Kati Ylä-Hokkala auf die Bühne bringt.

Ihr Jonglieren mit den Metaebenen, das schaffen nur in langen Jahren des ausdauernden Übens gereifte Meister:innen. Seit über 30 Jahren stehen die beiden auf der Bühne (selten gemeinsam als Duo). Die von ihnen gegründete Kompanie Gandini Juggling ist mit Preisen überhäuft. In The Games we play zitieren sie alte gemeinsame Auftritte, fügen Neues ein, schöpfen aus dem Vollen ihres Könnens und ihrer Erfahrung. Am Ende ist das Stück randvoll und überwältigend; eine Show, in der der Ball alles andere als flach gehalten wurde. Es ist nicht übertrieben, wenn Dramaturg Geordie Brookman den Abend mit den Worten eröffnet, es sei eine Ehre für das Chamäleon, dass es Gandini Juggling bei Play zu Gast hat.

"Duo Kati Ylä-Hokkala bei Play im Chamäleon Berlin." (Foto: Andrei Schnell)

Die Gastspielreihe Play im Chamäleon Berlin bringt in fünf Wochen acht internationale Kompanien an einen Ort. Künstlergruppen aus Finnland, England, Australien, der Schweiz und aus Deutschland treten jeweils an zwei bis drei Abenden mit ihren Stücken auf. Die Kuratoren der Reihe haben in diesem Jahr Play für das Komische geöffnet.

Zum Auftakt zeigte das Schweizer Duo Compagnia Baccalà mit Pss Pss beste Clownkunst, die von der Pantomime der Stummfilmzeit inspiriert ist. Die finnischen Clowninnen des Kallo Collectives zeigen mit The Receptonists eine akrobatische Comedy. Absurd geht es zu bei Casting Off der Kompanie A Good Catch. Da setzt das mit Verwirrung, labyrinthischen Momenten spielende, an Thriller erinnernde Stück Oder doch? der Kompanie Raum 305 einen Kontrapunkt.

Im vergangenen Jahr, bei der Erstausgabe von Play, war in der Auswahl der Stücke und Kompanien noch der Wille der Kuratoren zu spüren, zeitgenössischen Zirkus als ernstzunehmende Kunstform zu etablieren und zu präsentieren. In diesem Jahr beweisen die Organisatoren das Selbstbewusstsein, neben dem Ernst auch die Kunst des Komischen zu zeigen. Denn im Theater, das den zeitgenössischen Zirkus nicht unwesentlich beeinflusst, haben die Tragödiendichter der letzten 2000 Jahre stets einen Krümel Humor in ihre Klassiker hineingelegt.

"Dramaturg Geordie Brookman bedankt sich mit Blumen." (Foto: Andrei Schnell)

 

Apropos Theater. Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, hat am 11. Oktober 2023 das Chamäleon mit dem fünften Theaterpreis des Bundes in der Kategorie Privattheater und Gastspielhäuser ausgezeichnet. 100.000 Euro sind mit dem Preis verbunden. Geld, das die seit Anfang 2022 gemeinnützige GmbH für ihre Arbeit gut gebrauchen kann.

Das Chamäleon kümmert sich nicht ausschließlich um den Bühnenbetrieb. Das Haus tritt auch als Produzent auf und bietet Residenzen für Künstler. Dem alle Aktivitäten übergeordnete Ziel, den zeitgenössischen Zirkus einem breiten Publikum vorzustellen, wird das Chamäleon in den Hackeschen Höfen im September 20 Jahre lang verfolgen. Herzlichen Glückwunsch vorab zum runden Jahrestag. Und weiterhin den Ball hochhalten!

Andrei Schnell