Mit Anlauf nach ganz oben – Warum das Berlin Circus Festival so erfolgreich ist

Berlin Circus Festival 2024

Mit Anlauf nach ganz oben – Warum das Berlin Circus Festival so erfolgreich ist

Internationales Literaturfestival, Theatertreffen oder Berlin Art Week – zu den großen Kulturevents in der Hauptstadt hat sich innerhalb von zehn Jahren das Berlin Circus Festival gesellt. Wie ist es Josa Kölbel und Johannes Hilliger gelungen, den zeitgenössischen Zirkus so weit nach vorn zu bringen?

Berlin Circus Festival 2024
"Wer zum Berlin Circus Festival kommt, besucht nicht eine Zirkusvorstellung, sondern wird für ein paar Stunden in die Familie des zeitgenössischen Zirkus' aufgenommen." (Foto: PanRay Photography)

Das zehnte Berliner Circus Festival ist am Sonntag (18.8.) zu Ende gegangen und dürfte in diesem Sommer seine Erfolge der Vorjahre übertroffen haben. Lange her sind die Zeiten, in denen die Festspiele dem Publikum noch erklären mussten, was zeitgenössischer Zirkus überhaupt ist. Mittlerweile steigen beim Berliner Circus Festival die Zahlen der verkauften Tickets wie von selbst. Die Organisator:innen Josa Kölbel und Johannes Hilliger rechnen mit elftausend Zuschauer:innen. Was hat das Duo in den zurückliegenden zehn Jahren richtig gemacht?

Ein Erfolgsgeheimnis ist sicher, dass das Festival seine Gäste nicht in ein einzelnes Zelt lockt, sondern ein komplettes Zeltdorf bietet. Nach der Kasse folgt nicht der Gang in eine dunkle Planenhöhle, sondern es öffnet sich eine weitläufige Kommune für Artistik. Es ist ein rund 1000 Quadratmeter großer Anger, auf dem Zeit für ein Glas Rotwein ist, wo schlendernd Kunst betrachtet werden kann, wo Kinder Minigolf spielen und wo abends eine Band spielt.

Wer zum Berlin Circus Festival kommt, besucht nicht eine Zirkusvorstellung, sondern wird für ein paar Stunden in die Familie des zeitgenössischen Zirkus‘ aufgenommen. „Wir haben das Festival anfangs gegründet, um dem zeitgenössischen Zirkus eine Plattform zu geben“, sagen Josa Kölbel und Johannes Hilliger. Ein offenes Zeltdorf ist dafür offenbar hervorragend geeignet.

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"Zirkus als ein Synonym für Gemeinschaft, diese Auffassung prägt die Arbeit hinter den Kulissen und ist ebenfalls ein Erfolgsfaktor." (Foto: PanRay Photography)

Zirkus als ein Synonym für Gemeinschaft, diese Auffassung prägt die Arbeit hinter den Kulissen und ist ebenfalls ein Erfolgsfaktor. Darauf weisen Josa Kölbel und Johannes Hilliger in ihrem Podcast hin: Ihr Festival sei keine Maschine, sondern eine Art Familientreffen. Nicht wenige Mitstreiter:innen seien von Anfang an dabei, der Termin stehe bei allen weit im Voraus im Kalender.

Herzblut statt Agentur. Freundschaft statt Geschäftspartnerschaft.

Die Festivalgründer Josa Kölbel, 38 Jahre alt, und Johannes Hilliger, 37 Jahre alt, sind seit dem Abitur befreundet. Das Wachstum des Festivals hat das Gemeinschaftsgefühl bislang nicht beschädigt. Obwohl nun drei statt zwei Zelte aufgebaut werden müssen. Und obwohl das Festival um zwei auf zwölf Tage verlängert wurde.

Zum Erfolg des Berliner Circus Festival in Form eines Familientreffens tragen nicht zuletzt die eingeladenen Kompanien bei. 17 Produktionen waren in diesem Jahr eingeladen, die in der Regel jeweils an drei Tagen präsentiert wurden. „Wir holen Freund:innen aus den letzten zehn Jahren zurück nach Berlin, Künstler:innen und Träumer:innen, die die Identität des Berlin Circus Festival mitgeprägt haben“, schreiben Josa Kölbel und Johannes Hilliger im Editorial des Programmheftes. Aus Belgien, Niederlande, Schweiz und Frankreich kommen die befreundeten Träumer:innen.

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"Den Ehrenplatz der Abschlussshow im großen Zelt am Sonntag (18.8.) blieb der schwedischen Kompanie Svalbard mit ihrer Show „All Genius All Idiot“ vorbehalten." (Foto: PanRay Photography)

Den Ehrenplatz der Abschlussshow im großen Zelt am Sonntag (18.8.) blieb der schwedischen Kompanie Svalbard mit ihrer Show „All Genius All Idiot“ vorbehalten. Die 2014 gegründete Kompanie kündigte an, dass die Aufführungen in Berlin die letzten der Show sein werden.

Mehr als 150 Mal haben die Schweden das Stück in 28 Ländern gezeigt. Eine Inszenierung, von der Svalbard sagt, sie wolle traditionelle Denkweisen infrage stellen und neue Narrative schaffen, die zu Hoffnung, Staunen und Gemeinsinn inspirieren. Die vier Männer mischen Theater, Tanz, Akrobatik und Gesang und brechen fortlaufend Vorstellungen von Normalität, und das nicht nur bei Geschlechterrollen.

Die Show ist nur unzureichend beschrieben, wenn auf Artistik am Mast, am Vertikalseil und mit Handstand hingewiesen wird. Auch der hervorstechende, beständige, schleichende Singsang ist nur ein Puzzleteil unter vielen. Als Gesamtwerk ist „All Genius All Idiot“ unerwartet und erzeugt Emotionen. Bei den Berliner:innen sind es offenbar überwiegend positive. Schnell gab es Szenenapplaus und am Ende stehende Ovationen – während einige wenige verständnislos das Zelt verließen.

Das Berlin Circus Festival ist zum Toptipp im Berliner Kulturkalender geworden. Es kommen Paare, die nach der Vorstellung ihre Fahrräder mit dem Kindersitz abschließen. Es kommen Kenner:innen, die Vergleiche mit den Vorjahren anstellen. Es kommen Student:innen, die ihren auf Besuch befindlichen Großeltern etwas typisch Berlinerisches zeigen wollen.

Andrei Schnell