Eröffnung & The Pulse | Gravity & Other Myths | Ruhrfestspiele Recklinghausen 2024
Eröffnungsrede von Esther Kinsky
Die Schriftstellerin und Übersetzerin Esther Kinsky, 1956 in Engelskirchen geboren und im Rheinland aufgewachsen, wurde für ihr umfangreiches literarisches Werk, das Lyrik, Essays und Erzählprosa ebenso umfasst wie Übersetzungen aus dem Polnischen, Russischen und Englischen, mit zahlreichen namhaften Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Kleist-Preis 2022 für ihr Gesamtwerk. Ihr Werk beeindruckt durch einzigartige stilistische Brillanz, thematische Vielfalt und eigensinnige Originalität. Sie ist eine europäische Schriftstellerin. Ihre Bücher sind angesiedelt in der ungarischen Provinz („Banatsko“, 2011), in einem Randbezirk im Londoner Osten („Am Fluss“, 2014), auf einem kleinen Archipel vor der Westküste Schottlands („Schiefern“, 2020) oder im Friaul („Hain: Geländeroman“, 2018, für den sie 2020 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde; „Rombo“, 2022).
In ihren Texten reist sie an unbekannte, unbeachtete Peripherien, sie hat sich der Erkundung und Überwindung der Fremde als existentielle, menschliche Erfahrung verschrieben. Das Sehen, Erkennen und Benennen einer fremden Welt in naturgeschichtlichen, geologischen, geographischen, kulturellen und historisch-politischen Zusammenhängen ist ihr zentrales Thema. Kinskys Romane und Gedichte stellen den Menschen in ein Verhältnis zum – so ein zentraler Begriff – „gestörten Gelände“ („Störungen“, 2023), ein Gelände, das nach einer Phase oft sehr intensiver Nutzung und Überprägung durch den Menschen allmählich wieder an die Natur fällt. Sie untersucht sprachgewaltig das Spannungsfeld von Natur und Kultur zwischen Ausbeutung und Rückeroberung sowie historische Belastungen als Störfelder. Ihre Literatur ist eine Wahrnehmungs- und Erinnerungsschule völlig eigener Prägung. Ihr neuestes Buch „Weiter Sehen“, eine Liebeserklärung an das Kino als blickerweiternden Raum, stellt die Frage, wie ein „Weiter Sehen“ und eine Verständigung darüber möglich sind, wenn der Ort der gemeinsamen Erfahrung, das Kino, zugunsten einer Privatisierung von Leben und Erleben demontiert ist. In diesem Jahr hält Esther Kinsky – nach Judith Schalansky, Clemens Meyer, Enis Maci, Sharon Dodua Otoo und Anne Weber – die Eröffnungsrede der Ruhrfestspiele.
Im Anschluss: The Pulse von Gravity & Other Myths
In einem assoziativen Wechselspiel verweist „The Pulse“ auf tiefberührende menschliche Verbindungen und die Kraft der Gemeinschaft. Für einen flüchtigen Moment verbindet diese pulsierende, monolithische Zirkusarbeit Publikum, Akrobat*innen und Chor zu einem Organismus. Zurück bleiben staunende Augen, stockender Atem und klopfende Herzen.
Seit ihrer Gründung hebeln Gravity & Other Myths mit akrobatischer Virtuosität die Gesetze der Schwerkraft aus. Bei den Ruhrfestspielen waren sie bereits zwei Mal zu Gast. Die Partnerschaft, die 2014 – im damaligen Fringezelt – mit ihrer ersten Produktion „A Simple Space“ begann, findet nun im Großen Haus zur Eröffnung der Ruhrfestspiele ihren Höhepunkt. Das zeugt von der fulminanten Karriere der Ausnahmeakrobat*innen einerseits und ist zugleich das Bekenntnis der Ruhrfestspiele dem Neuen Zirkus, diesem außergewöhnlich vielfältigen Gerne, einen besonderen Stellenwert zu geben.
Ruhrfestspiele Recklinghausen 2024
Die Ruhrfestspiele sind eines der ältesten, größten und renommiertesten Theaterfestivals Europas. Während der jährlichen Festspielzeit vom 1. Mai bis Mitte Juni verwandelt sich Recklinghausen in eine internationale Kultur- und Theatermetropole. Internationales Schauspiel- und Tanztheater, Koproduktionen mit großen deutschsprachigen Bühnen, Literatur, sowie herausragende Produktionen des Neuen Zirkus und ausgesuchte Kinder- und Jugendtheaterproduktionen bilden den Kern des zeitgenössischen Programms. Multidisziplinäre Performanceproduktionen, Bildende Kunst, Konzerte sowie neue Diskursformate suchen darüber hinaus die Auseinandersetzung mit relevanten politischen Fragen der Gegenwart und Zukunft.
Foto: Carnival Cinema