Wenn alles mit allem zusammen- und voneinander abhängt

ATOLL Festival Karlsruhe

Wenn alles mit allem zusammen- und voneinander abhängt

Das „Atelier Lefeuvre & André“ zeigt beim ATOLL Festival in Karlsruhe eine Ansammlung akribisch ausgetüftelter Miniaturen, die im Verlaufe von 70 Minuten zu dem mit Situationskomik und hintersinnigem Witz nur so gespickten Spektakel „Parbleu!“ zusammengesetzt werden. Vorgetragen von den zwei gereiften Artisten Didier André und Jean-Paul Lefeuvre, bei denen man sich immer wieder fragt, ob sie die dargestellten Charaktere ersonnen und einstudiert haben oder auf der Bühne schlichtweg sie selbst sind.

Die beiden Künstler betreten nacheinander eine Art Boule-Bahn durch ein „Drehkreuz“, das sie mit ein paar Handgriffen aus einem auf zwei Pfähle gelegten Vorschlaghammer geschaffen haben. Sie kommunizieren miteinander nur nonverbal: Durch spärliche Gesten, vielsagende Blicke und eine ausdrucksstarke Körpersprache. Sie scheinen sich einander nicht übermäßig sympathisch, bilden aber beim Bespielen der Bühne ein unschlagbares Team. Gegenseitig greifen sie die Ideen des jeweils anderen auf und entwickeln sie weiter oder imitieren sich in ihren Aktionen, überspitzen sie und treiben sie in neue Höhen, in denen die Absurdität der Ausgangshandlung entlarvt wird.

Didier André und Jean-Paul Lefeuvre beim ATOLL Festival 2022 (Foto: Bernadette Wozniak-Fink)

Sie lassen die verwendeten Alltagsgegenstände und Werkzeuge in einem komplett anderen Kontext auftauchen, so dass sie in ihren Händen zu originellen Requisiten einer minimalistischen Interpretation von zeitgenössischem Zirkus mutieren. Auch Teile der Bühne – deren vielseitiger Mehrzweck-Charakter dem Publikum anfangs noch verborgen ist – werden im Verlaufe der Show immer wieder in die Kunststücke und Experimente eingebaut.

Einfache Maurerkellen dienen in einer Szene als Hutständer, entfalten kurz darauf aber als klingende Schläger beim Ping-Pong ihr perkussives Potenzial und ersetzen später sogar eine vollwertige Rhythm-Section bei der Begleitung des AC/DC-Klassikers „Hells bells“.

Eine lange Angel wird zuerst zu einem Fahnen- dann auch zu einem Chinesischen Mast umfunktioniert und kommt darüber hinaus als Seilwinde und Garderobenstange zum Einsatz. Auf einer aus dem Bühnenboden herausgestanzte Kreisscheibe lässt sich vorzüglich Einrad fahren und beim gemeinsamen Jonglieren funktioniert das Werfen und Fangen der Bälle mit einem einfachen Brett statt der Hände hervorragend.

ATOLL Festival Karlsruhe
Didier André und Jean-Paul Lefeuvre (Foto: Didier André)

In einem Verweis auf den klassischen Zirkus stimmt eine Säge, gerade noch im Sinne des Erfinders zum Kürzen eines Holzpfahls verwendet, als zweites Melodieinstrument zusammen mit der Gitarre ein Duett an.

Schließlich dienen zwei in gewissem Abstand hintereinander aufgestellte hölzerne Paneele als Basis für eine mit bewundernswerter Körperspannung ausbalancierte und gehaltene „Horizontalliege“ auf zwei schmalen Auflageflächen.

Didier André und Jean-Paul Lefeuvre beim ATOLL Festival 2022 (Foto: Bernadette Wozniak-Fink)
Dass der Vorschlaghammer aus der Eingangsszene weiterhin auch als Golf- bzw. Tennisschläger für Boule-Kugeln benutzt wird, die vom magnetischen Kugelheber herangefischt werden und Tischtennisbälle ausspucken, nur damit letztere wiederum vom Vorschlaghammer zerdrückt werden können, gibt eine nur unzureichend kleine Vorstellung davon, wie irrwitzig und lakonisch die einzelnen Utensilien in der Show miteinander verwoben werden. Großes Kino!

Roland Xanthopoulos