Zwei Jahrzehnte Circa, Chamäleon und Anke Politz
Chamäleon Theater Berlin
Zwei Jahrzehnte Circa, Chamäleon und Anke Politz
Die australische Kompanie Circa gastiert erneut im Berliner Chamäleon und zeigt bis Anfang Januar die Show „Wolf“. Dem minimalistischen Stück gelingt das Wunder, mit wenigen Mitteln das Publikum fast zwei Stunden lang zu fesseln. Ein schönes Geschenk des Hauses an sich selbst zum 20. Geburtstag.

Die Bühne: minimalistisch. Heller Boden, eine weiße Rückwand. Das Licht: minimalistisch. Oft weiß, manchmal blau, manchmal rot. Die Kostüme: minimalistisch. Variationen in schwarz und beige. Die Musik: minimalistisch. Rhythmus in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Wie kann so einem Stück mit so wenig helfender Begleitung so intensiv sein?
Schlicht „Wolf“ heißt das minimalistische Stück der Kompanie Circa Contemporary Circus. Offizielle Premiere war am Freitag (5. 9.) im Chamäleon Theater Berlin. Ab sofort ist das mitreißende Stück fast täglich bis zur ersten Januarwoche in den Hackeschen Höfen zu sehen. Die Premiere war gleichzeitig eine Geburtstagsfeier. Denn das Theater wurde 20 Jahre alt. Ebenso alt wie Circa, die Kompanie, die 2004 im australischen Brisbane gegründet wurde. Und bei der Gelegenheit wurde noch ein dritter Jahrestag gefeiert.
Seit 20 Jahren prägt die heutige Intendantin Anke Politz die künstlerische Ausrichtung des Chamäleons. Geschäftsführer Hendrik Frobel überraschte Anke Politz mit einem Blumenmeer. „Dass wir heute da stehen, wo wir stehen, das ist dein Erfolg“, sagt er. Vielleicht ist „Wolf“ als eine Art Geburtstagsgeschenk zu verstehen, das sich das Chamäleon selbst macht. Denn: „Wir haben Australien und australische Kompanien oft zu Gast bei uns. Und ‚Wolf‘ ist unsere siebte Zusammenarbeit mit Circa“, sagt Anke Politz. In ihren Worten schwingt die Freude darüber mit, dass die erneute Kollaboration mit den australischen Berufsfreunden zufällig mit dem Jahrestag der Theaterneugründung zusammenfällt.

Das Stück „Wolf“ schafft das Unglaubliche, keine Minute zu lang zu wirken, obwohl es fast ausschließlich auf das Ausdrucksmittel Körperkraft setzt. Effekte aller Art von Laser bis Sound fehlen. Kraft und Körperlichkeit wird dabei nie als Sensation präsentiert.
Jeder Akt ergibt sich aus fließenden Bewegungen und löst sich in geschmeidigen Körperdrehungen auf. Gut möglich, dass einige Zuschauer:innen (vor allem im ersten Teil der Show) bei der Konzentration auf die Choreographie übersehen, welche akrobatischen Leistungen in den einzelnen Szenen stecken. Und wie viele Muskelfasern. Zum Beispiel, wenn ein Artist für einen Moment vier Mitstreiter:innen trägt. Oder wenn sich eine Artistin aus der Lage in den Stand erhebt und dabei zwei andere emporhebt.
Der Titel „Wolf“ sei vom unbändigen Lebenswillen inspiriert, sagt Regisseur Yaron Lifschitz: „Es ist ein Stück über den ungezähmten inneren Geist, der sich seinen Weg bahnt, Mut macht und Orientierung geben kann.“ Für diese Erzählung arbeitet die Show mit einem Kontrast zwischen einer etwas ruhigeren ersten Hälfte und einer lebhafteren zweiten. In diese sind dann Darbietungen eingebaut, bei denen nicht wenige Zuschauer:innen im Saal die Luft anhalten.
Während zu Beginn jeweils nur zwei oder drei Akrobat:innen gleichzeitig auf der Bühne agieren, so sind am Ende fast durchgängig alle zehn Mitglieder der Kompanie gleichzeitig in Aktion. Musik, Lichtwechsel und Bewegungen werden schneller. Ohne chaotisch zu werden, nimmt die Dynamik zu und reißt mit.

Kraft, die sich nicht klein halten lässt, davon erzählt „Wolf“. Von dieser Art Kraft lebt auch das seit 20 Jahren privatwirtschaftlich betriebene Chamäleon. Nach einer ersten gescheiterten Vorläuferbühne in den 1990er Jahren hat es sich seit seiner Neuerfindung 2004 zu einer wichtigen Spielstätte für den zeitgenössischen Zirkus in Deutschland entwickelt.
Viele Entscheidungen haben immer wieder Mut gebraucht, sagt Anke Politz. Seit 20 Jahren setzt sie unter verschiedenen Stellenbezeichnungen die künstlerischen Ziele des Hauses . Programmatisch war bereits die erste Show im Jahr 2004. „100 Prozent“ lautete der Titel. Es ging um den kritischen Blick hinter die Kulissen einer Artistenschule. Programmatisch war diese Show, denn: „Wie können wir Unterhaltung mit bestimmten Fragestellungen verbinden?“, fragt Anke Politz.
Wenn das Chamäleon in Berlin so wie bisher weitermacht, dann wird es auch in den nächsten 20 Jahren ein idealer Wald für Wölfe sein, die künstlerisch das tun müssen, was sie aus ihrem Innersten heraus tun müssen.
Andrei Schnell